Einladung zum Spielen

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Annette Söhnlein in ihrer Wohnung

Annette empfängt in ihrem Wohnzimmer und serviert Kaffee. Vor der unverputzten Backsteinwand liegt eine ausgerollte Yogamatte und durch das Fenster geht der Blick in den Hof, wo ein paar Arbeiter zugange sind. Annette erzählt lebhaft und lacht dabei – wie immer – viel.

Nach ausführlicher Beschäftigung hast du, zusammen mit Elena Lustig, ein Buch zum Thema Chakras geschrieben. Was ist überhaupt ein Chakra?
Ein Chakra ist ein Energiezentrum in unserem Körper, das wir nicht sehen können und das verbunden ist mit bestimmten Drüsen und Nervenverbindungen. Die sieben Haupt-Chakras von denen wir meist sprechen, sind mit bestimmten Lebensthemen verbunden. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Chakra lenken, können wir diese Lebensthemen bearbeiten.

Chakra System

Im Intro zum Buch steht, dass du bei dem Wort „Chakra“ immer noch zusammenzuckst, weil darin so viel Esoterik mitschwingt. Kannst du dich an deine erste Berührung mit dem Begriff erinnern?

Ich habe den Workshop „Tune up your Chakras“ im Jivamukti-Studio besucht, den haben Sharon Gannon und David Life gemeinsam unterrichtet, ich hatte damals wenig Ahnung von Yoga. Irgendwann – es ging um das Manipura-Chakra – mussten wir ewig lange in der gedrehten Stuhl-Position stehen und „Ram Ram Ram“ singen, dazu erzählte Sharon über Lautsprecher davon, wie Kühe vergewaltigt werden und wir dem Kalb die Muttermilch wegtrinken. Ich fand das alles total befremdlich.

Und in der Yogalehrer-Ausbildung?
Ich kann mich an einen Nachmittag erinnern, an dem wir Visualisierungs-Übungen gemacht haben. Wenn man sich richtig verbindet, hatte uns unser Lehrer erklärt, könne man die Chakren sehen. Ich konnte weder etwas sehen, noch etwas spüren und war total genervt.

Wie hast du dann doch noch den Zugang zu dem Thema gefunden?
Durch die Beobachtung von meinen Schülern. Ich habe gesehen, wie bestimmte Übungen wirken. Rückbeugen beispielsweise. Die sind dem Herz-Chakra, dem Anahata-Chakra, zugeordnet. Ich habe gesehen, dass die nicht nur den Brustkorb öffnen und die Schulterblätter da hin bewegen, wo sie hingehören, sondern dass sie auch emotional wirken. Die ganze Person kommt mehr in Kontakt mit ihrem Herzen. Ich hatte eine Schülerin schon vier oder fünf Jahre im Unterricht. Und nach einer Herz-Chakra-Stunde hat sie zu mir gesagt: ‚Jetzt verstehe ich so langsam, was gemeint ist, wenn es heißt, ich soll auf mein Herz hören’. Sie hatte tatsächlich durch die Übung einen Zugang bekommen.

Und du hast einen Zugang zu den Chakras bekommen.
Ja. Ich bin ja ein echter Vibe-Sucker, in diesem Moment ist auch mir das Herz aufgegangen. Das ist ja übrigens das schöne am Yoga-Unterricht: Man ist in einem Raum zusammen, jemand erlebt etwas und das Erlebnis ist immer auch für alle anderen da.

Es ist also tatsächlich so, dass bestimmte Übungen auf bestimmte Chakras wirken?
Genau. Ich selbst habe das zu Beginn meiner Zeit als Lehrerin erfahren. Ich war in einer sehr unsicheren finanziellen Situation und ständig von Existenzängsten geplagt. Ich habe damals intuitiv viele Standpositionen gemacht – die das Wurzelchakra ausgleichen. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass mich diese finanzielle Last nicht mehr so beschäftigt. Erst später, als ich mich mit dem Wurzelchakra beschäftig habe, habe ich gelernt, dass da im wahrsten Sinne des Wortes der „Wohlstand“ sitzt. Und dass ich mich durch die Übung von stehenden Positionen tatsächlich in ein Kraftfeld hinein bewegt habe.

Du kannst die Chakras jetzt also wirklich spüren?
Ja, aber nicht im Sinne von: ‚Ich konzentriere mich darauf und dann sehe ich da am Beckenboden ein tiefes wunderschönes Rot und wenn ich ‚Lam’ dazu singe, strömt es durch den ganzen Körper’, sondern eher als ein Erkennen: Ich tue etwas mit einer Regelmäßigkeit und das hat eine starke Wirkung auf meinen physischen Körper und über den physischen Körper auch auf den feinstofflicheren.

Aber hat ein Chakra denn eine physische Realität?
Man kann es nicht sehen oder messen.

Und was kann ich tun, wenn ich ein Chakra spüren möchte?
Auch an der Innenseite der Hände und in den Fingerkuppen gibt es Chakras, die kann man recht gut spüren. Reibe deine Hände schnell und fest aneinander und schließe dabei die Augen. Dann löst du die Hände, nimmst sie etwas auseinander und schiebst sie dann langsam wieder aufeinander. Dabei kannst du eine Vibration spüren, eine Verdichtung von Energie.

Chakras werden immer mit bestimmten Drüsen und Nervengeflechten in Verbindung gebracht. Können wir sie uns vorstellen als die feinstoffliche Entsprechung dieser Körperteile?Das ist spannend. Das siebte Chakra, das ‚dritte Auge’ liegt in der Gegend der Hypophyse, die ja auch im westlich-medizinischen Sinne der Ort von Einsicht und Intuition ist. Oder das Kehl-Chakra, das der Schilddrüse zugeordnet ist – das ist das Zentrum des gesunden Selbstausdrucks. Schilddrüsenüber- oder unterfunktion kann zu Depressionen führen, bei der ja auch der Selbstausdruck gestört ist.

Um diesen Zusammenhang zu erklären, braucht es aber ja die Chakras nicht.
Es geht hier eher um ein System, was dabei hilft, Aufmerksamkeit und Energie zu lenken. Wenn man Aufmerksamkeit an einen Ort lenkt, passiert dort etwas. Das geht über das rein Körperliche hinaus. Es passiert im zweiten Chakra auch bei denen etwas, die aufgrund einer Erkrankung gar keine Schilddrüse mehr haben.

Man hört immer wieder, dass ein bestimmtes Chakra stark oder schwach ist. Hat also jeder eine Chakra-Konstitution?
Ja. Man geht davon aus, dass sich die Chakras evolutionär entwickeln, also das erste Chakra bereits im Mutterleib, das zweite ab dem Alter von sechs Monaten usw. Man kann sich also überlegen, was ist in welcher Phase meines Lebens passiert und Rückschlüsse auf die Chakra-Anatomie ziehen.

Sollte man dann also immer Übungen für die Chakras machen, die bei einem persönlich schwach sind, oder, wie es im Kundalini-Yoga empfohlen wird, immer mit dem Wurzel-Chakra anfangen?
Letzendlich kommunizieren alle Chakras miteinander, und wenn ich eines stärke, stärke ich auch die umliegenden. Es macht aber total Sinn mit der Basis anzufangen, weil wir in der heutigen Gesellschaft ja sehr kopflastig sind, was zu psychischen Störungen führen kann. So viele Praktiken – schamanische Rituale z.B, aber auch Drogen wirken in den oberen Chakras. Da fliege ich ja weg, wenn mein Wurzelchakra nicht stabil ist.

Wenn man indischen Lehrbüchern glaubt, kann die Entwicklung der Chakras sogar Zauberkräfte hervorbringen. Wer beispielsweise das Wurzelchakra beherrscht, soll schweben können. Wer fähig ist, Energie ins Kehl-Chakra zu lenken, kommt ganz ohne Nahrung aus …
Ich selbst habe nie so etwas erfahren. Ich glaube, dass kraft des Geistes prinzipiell alles möglich ist. Ich lebe aber – als Mutter und Yogalehrerin – so sehr in dieser Hier-und-Jetzt-Welt, dass mich das im Moment nicht interessiert.

Ich frage mich, ob in Indien die Grenze zwischen ‚real’ und ‚imaginär’ anders gezogen wird oder ob es solche Phänomene dort wirklich mehr gibt?
Ich glaube, dass in einigen Teilen Indiens spirituelle Praktiken noch so integriert sind, dass es leichter ist, alles Mögliche zu erleben und als real anzunehmen.

Was bringt es uns hier im Westen, uns mit den Chakras zu beschäftigen?
Es kann eine gute Möglichkeit sein, in sich selbst hinein zu spüren, sich besser wahrnehmen zu lernen und letztlich zu erkennen: Was brauche ich. Für mich bedeutet Yoga vor allem Selbstermächtigung. Also die Erfahrung, dass ich die Wahl habe, ob ich unter bestimmten Aspekten meiner selbst leiden möchte oder nicht. Ich habe die Wahl aus mir selbst heraus glücklicher zu werden.
Wichtig ist dabei, seinen Humor nicht zu verlieren. Nicht zuletzt geht es – das ist auch die Idee unseres Buches – um eine Einladung zu spielen.

Was macht dich persönlich glücklich?
Mein größtes Glück kommt aus dem Austausch mit Menschen die authentisch sind und zu ihren Stärken und Schwächen stehen.
http://www.annettesoehnlein.com
http://www.innenaussenbuch.de/

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