Glaub nicht alles, was du denkst

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Fassade mit Schriftzug "Erfreulich", Dieffenbachstraße, Berlin

Der Zwerg in meinem Kopf war gerade dabei, so richtig in Fahrt zu kommen. In letzter Zeit war er angenehmerweise nicht sehr aktiv, aber heute witterte er Morgenluft. Vielleicht weil ich ein wenig labil und viel zu früh aufgewacht war. Der Zwerg kennt mich gut, schließlich begleitet er mich schon fast mein ganzes Leben lang. Seine Stimme hat er sich von einem Kobold auf einer Märchenplatte geliehen, die ich als Kind gehört habe. Er weiß, wann ich bereit bin, mich im Weltschmerz zu suhlen. Wie es in dem schönen alten Song von Cock Robin heißt: „When your herat is weak, I’m gonna pick the lock on it“.

Der Zwerg findet nichts schöner, als mir genüsslich all das vorzuhalten, was mit mir nicht stimmt. Und da gibt es jede Menge. So richtig weit gebracht hast du es ja nicht, sagt der Zwerg. Wie kommt es eigentlich, fragt er, dass sich für das, was du so von dir gibst, keiner interessiert? Vielleicht, weil es einfach abwegig und uninteressant ist. So wie du, wenn man es recht bedenkt. Und hatte ich schon erwähnt, dass du alt bist? Und hässlich?

Während die Worte des Zwerges meinen Kopf füllten als wären es meine Gedanken, bemerkte ich mit einem verbliebenen Rest Aufmerksamkeit meine Umgebung. Die Blätter hingen schwer vom Regen an den Bäumen und es duftete nach sommerlichem Grün. Die Backsteinfassade vor mir sah schön aus. Ich ließ meinen Blick nach oben gleiten und da fand ich eine Botschaft. Auf einem Fenstersims im zweiten Stock hatte jemand eine Holzlatte angebracht, auf der in weißen Buchstaben das Wort „Erfreulich“ stand.

Ich musste lächeln und daran denken, dass ja tatsächlich vieles in meinem Leben erfreulich ist. In diesem Moment wurde die Stimme des Zwerges leiser.

Das ist mir in letzter Zeit öfter passiert. Es ist so, als könnte ich mir die Geschichten, die ich mir teilweise schon sehr lange erzähle, nicht mehr so ganz glauben.

Nachdem ich jahrelang auf Wunderwirkungen gehofft habe, auf weltbewegende Veränderungen und Erleuchtungsblitze, denke ich inzwischen, dass es das ist, was passiert, wenn man meditiert. Dass man den Zwergen im Kopf nach und nach die Deutungshoheit über sein Leben entzieht.

Wenn man immer wieder von neuem einigermaßen geduldig den Gedanken- und Gefühlszirkus in seinem Inneren betrachtet, entsteht ein kleines bisschen Abstand zwischen der Beobachterin und dem Geschehen. Eigentlich ein ganz unspektakulärer Prozess, aber dieser kleine Abstand ist wie ein Fuß in der Tür. Sie geht einfach nicht mehr ganz zu und von draußen fällt ein wenig Licht herein. Und gelegentlich eine aufmunternde Botschaft aus dem Universum.

 

 

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