Wer immer allein vor seinem Computer sitzt und sich in den Weiten virtueller Welten herumtreibt, wird wohl auf Dauer etwas kauzig und einsam werden. Dennoch bietet das Netz auch wunderbare Möglichkeiten der Begegnung – und das nicht nur, wenn man zum Spaß gelegentlich obskure Freundschaftsanfragen von Fremden annimmt. So habe ich auf der Suche nach Gedichten des persischen Sufi-Mystikers Rumi auf Arabisch, die ich für meinen Yogakurs für geflüchtete Frauen brauchte, Rami Kremesti kennengelernt und das war eine Begegnung, die mich seltsam angerührt hat. Nicht nur hat er sich auf meine Anfrage nach einem bestimmten Gedicht sofort bereit erklärt, es mir zu übersetzen, sondern mir außerdem von seinem bewegten Leben und seiner persönlichen Suche nach dem Glück erzählt:
„Ich bin im Grunde heimatlos. In Bulgarien geboren, bin ich während des Bürgerkriegs in Beirut aufgewachsen, umgeben und erfüllt von Unsicherheit und Angst. Schon während meiner Jugend habe ich erste Phasen von Depression durchlebt. Ich weiß sehr genau, wie es den syrischen Flüchtlingen geht. Es ist furchtbar! Ich spreche von Bomben und Bunkern, davon, für Brot anzustehen und für Wasser, davon, jedes Mal wenn die Eltern das Haus verlassen, zu fürchten, dass sie nicht lebend zurückkommen.
Schließlich bekam ich die Chance, all dem zu entkommen, als ich an der Universität von Texas als Student zugelassen wurde. Die USA waren das Land meiner Träume, das Land der Möglichkeiten. Ich machte meinen Abschluss in Chemie und blieb acht Jahre. Während ich in Kalifornien lebte, entdeckte ich meine Liebe zu Rumi. Rumi ist für mich der größte Dichter aller Zeiten. Er steht für die wahre Essenz des Islams.
In Kalifornien ging es mir sehr gut. Aber das Monster des Krieges schlug wieder zu als 9/11 passierte. Wieder litt ich unter Depressionen, weil das FBI Menschen aus dem nahen Osten drangsalierte. Ich hatte gerade meinen Job verloren und verlor so auch meine Aufenthaltsgenehmigung. Ich musste das Land verlassen und zog nach Saudi Arabien, dann ein Jahr später in die Schweiz, dann in den Irakt und schließlich nach England, wo ich heute lebe und als Consultant für Wasseraufbereitung arbeite.
Glück bedeutet für mich mein Glaube an Gott und meine beiden Töchter. Glücklich macht mich auch die Villa Kremesti im kleinen Ort Trankovo in Bulgarien. Villa Kremesti ist mein Zuhause, meine Zuflucht. Hierhin kann ich mich zurückziehen, das einfache Leben genießen. Es soll hier ein Ort für Kunst und Veranstaltungen entstehen, zum Beispiel lustigen, wie dem Burning Chair-Festival, das wir diesen Sommer veranstaltet haben. Außerdem ein Guest House.
In meiner Suche nach Wahrheit habe ich den Hinduismus und den Islam studiert, sie haben mich viel gelehrt, aber am meisten Inspiration finde ich in der christlich orthodoxen Tradition. Ich suche nach Momenten von ehrfürchtigem Staunen und erlebe sie vor allem in der Natur. Ich bin auf der Suche nach dem, was formlos ist, was über jede Form hinaus geht. Rumi spricht davon, wenn er von dem Dichter erzählt, der die Worte aufgibt, verstummt und in die Wüste geht.
Nachdem ich so viel Zeit mit Hass und Depression gelebt habe, habe ich die heilende Kraft der Liebe erfahren. Das macht mich glücklich.“
Ramis Lieblingsgedicht: