Wenn Mario Lombardo darüber spricht, womit er sich beschäftigt, glaubt man einen Synästhetiker vor sich zu haben. Er scheint alles mit allen Sinnen wahrzunehmen. Er spricht von Bildern, die in Düfte einfließen, vom Geruch bestimmter Buchstaben und davon „einen Raum zum Klingen zu bringen.“ Eine Kerze, sagt er „soll wirken wie ein Lied.“ Das Thema Duft fasziniert ihn schon lange. Immer wieder hat er Konzepte entwickelt, Gerüche im Corporate Design oder im kulturellen Bereich einzusetzen. Gerne hätte er beispielsweise eine Oper mit dem Duft von gegrilltem Fleisch begleitet, damit die Besucher später, wenn sie an einem Imbiss-Stand vorbeikommen, wieder an die Oper denken. Aus den Gedankenspielerein wurde jetzt ein konkretes Projekt: zusammen mit den Parfumeuren des Dufthauses Robertet in Grasse hat er Duftkerzen entwickelt. 26 Stück, eine für jeden Buchstaben des Alphabets. Dazu ein &, das nach Kernseife duftet und mit dem man alle anderen Buchstaben zu ganz persönlichen Geschichten zusammenfügen kann.
Welcher Duft macht dich glücklich?
Der meiner Tochter Mila. An ihrem Nacken zu riechen, morgens, wenn ich sie wecke und sie noch ganz verschlafen ist, das liebe ich. Was ich auch sehr mag, ist dieser spezielle Geruch in alten Schränken – ein bisschen staubig, ein bisschen nach Lavendel – wenn ich das rieche, fühle ich mich zuhause, egal wo ich bin.
Der Geruch, wenn sich Regen ankündigt oder der nachdem er gefallen ist. Das innige Gefühl vom Einklang mit meiner Freundin, ob räumlich getrennt oder wenn wir still Hand in Hand gehen, macht mich immer sehr sensibel für Gerüche. Es durchfährt mich förmlich und klingt lange nach. Ich glaube dann unsere Liebe förmlich einzuatmen, zu riechen, zu schmecken. Das ist wirklich sehr schön, riecht vertraut und leicht salzig.
Das Zuhause-Fühlen spielt bei Deiner Beschäftigung mit Düften eine große Rolle. Erzähl mal, wie es dazu kam.
Der Beginn war mein erstes Zurückkommen nach Argentinien, als ich 21 war. Wir hatten das Land verlassen, als ich fünf war und ich bin komplett in Deutschland sozialisiert worden. Alles Wichtige habe ich hier erlebt: Musik, Freundinnen, Schule. In Argentinien habe ich nichts wieder erkannt, gleichzeitig hatte ich aber dieses Gefühl: ich bin zuhause. Ich war umhüllt von etwas Bekanntem, obwohl mir alles fremd war. Das war unglaublich. Ich habe eine Woche gebraucht, bis ich erkannt habe, dass das an den Gerüchen lag.
Was hast du denn gerochen?
Ein bisschen mehr Smog als in Deutschland und den Geruch von gegrilltem Fleisch. In Argentinien schmeißen die Arbeiter auf den Baustellen mittags den Grill an. Mein Vater ist Architekt und hat mich als kleines Kind oft mitgenommen, daher war mir das vertraut. Die kalten und staubigen Böden in den Hauseingängen. Die kühle Luft in unserem schattigen Patio, wenn die Sonne, auf den Straßen, die Zeit stehen lässt. Die mit Freudentränen getränkten Umarmungen meiner Oma und meiner Tanten. Dort gibt es eine schöne trockene pudrige Holznote bei den Menschen, ich habe bis heute nicht herausgefunden, wo sie herstammt, es könnte sein, dass es in einem beliebten Waschmittel verwendet wird, das ich nicht kenne. Eine weitere interessante Dufterinnerung ist die von mit gechlortem Wasser gegossenen Farngärten in den Höfen. Und über allem schwebt für mich irgendwie der salzig-säuerliche Duft der Sehnsucht und des Verlassens.
Deine Faszination für Duft hat also etwas mit Nostalgie zu tun?
Das ist die besondere Kraft von Gerüchen, dass sie Momente zurückholen können. Und ihnen Bilder geben.
Duft hat dich also schon lange beschäftigt, dennoch hast du Grafikdesign gemacht, eigentlich etwas ganz anderes.
Auch in der Grafik geht es mir darum, subjektive Wahrnehmungen hervorzurufen. Ich probiere immer nur Hinweise zu geben, die bei anderen Gefühle, Bilder und Erlebnisse aus ihrem Leben ansprechen. Ich möchte Sachen entwickeln, die jemand sieht, eine Verbindung hat und reagiert – positiv oder negativ, traurig oder glücklich. Das ist auch bei allen Magazinen so, die ich mache. Es geht mir darum, ohne Worte Geschichten zu erzählen, das ist mit den Düften genauso.
Wie kam es dann dazu, dass du schließlich Ernst gemacht hast mit Duftthema, das dich so lange begleitet hat und deine Duftkerzen-Firma Atelier Oblique gegründet hast?
Das hat mit zwei wichtigen Ereignissen in meinem Leben zu tun. Mila ist auf die Welt gekommen – das ist etwas, das mich überwältigt hat. Diese Verbundenheit hat mir eine neue Türe zur Liebe aufgemacht, ich habe wieder einen neuen Geruch, einen neuen Reichtum erfahren. Dann ist vor zwei Jahren meine Mutter gestorben – da habe ich gedacht: jetzt muss du mal beginnen, das alles festzuhalten.
Du sprichst davon, mit den Düften etwas zurückzuholen, zu bewahren. Macht dir die Vergänglichkeit zu schaffen?
Ja schon. Das Loslassen ist ein schwieriges Thema. Ich weiß zum Beispiel, dass ich meine Tochter loslassen muss, aber es ist nicht leicht. Das ist das Thema der Kerze „H“. Sie heißt „A bird in the Hand“. Da geht es darum, dass man niemanden festhalten kann, den Vogel fliegen lassen musst. Aber wenn du einen Boden schaffst für die Beziehung, kann er wieder zurück kommen.
Du hattest also bestimmte Themen im Kopf, als du angefangen hast, die Düfte zu entwickeln?Ich habe erst einmal meine Gefühle aufgeschrieben – Liebe und Abneigung, Verlieren und Gewinnen usw. Ich habe Ideen, Sätze, Zitate und Lieder gesammelt und dann alles in Kategorien eingeteilt.
Ausgangspunkt waren also eher Geschichten als konkrete Gerüche?
Es gab auch konkrete Duftvorstellungen. Bei N zum Beispiel, dem Duft, den ich für meine Mutter gemacht habe, war klar, dass er nach Rosen riechen sollte, weil meine Mutter Rosen geliebt hat.
Und die Parfumeure konnten mit deinen Ideen etwas anfangen? Wie war die Zusammenarbeit?
Ich kam teilweise mit sehr kruden Ideen an und die haben mich dann ein bisschen eingenordet.
Zum Beispiel?
„M“ zum Beispiel, das ist mein Duft. Den wollte ich sehr pur, der sollte nach Holz und Tabak reichen. Die haben mich überredet, ein bisschen Vanille dazu zu tun, weil es sonst zu hart geworden wäre.
Was gibt es noch für Themen?
„A“ riecht nach Meer. Das war der allererste Duft, die ich gemacht habe. Ich liebe es, am Meer zu sein. Ich glaube, das ist etwas, das uns alle verbindet. Das „L“ ist eine Auseinandersetzung mit dem Glauben. Das riecht nach Myrrhe und Weihrauch. Das wollte ich erst nicht, weil ich dachte, es steht nur für die christliche Religion, aber es ist total übergreifend.
Musstest du auch Ideen aufgeben?
Ich wollte Benzin, das ich als Kind immer gerne gerochen habe und alle möglichen Essengerüche. Das haben wir alles raus genommen. Wir haben uns gemeinsam für einen parfumistischen Ansatz entscheiden.
Das heißt?
Dass es nie nur ein einziger Duft ist. Es gibt immer eine Kopf-, eine Herz- und eine Basisnote. Zusammen ergibt das ein gesamtes Gefühl.
Jede Kerze erzeugt also eine bestimmte Stimmung?
Es wird ein gemeinsamer Raum erzeugt, eine emotionale Komponente, die dadurch, dass sie einen Geruch hat, eine Art Körper bekommt, auch wenn sie unsichtbar ist. Es geht immer darum, dass man etwas teilt, dass man verbunden ist. Der Reichtum, den man hat, das sind alles Momente. Die möchte ich festhalten.
Du hast zu allen Düften Texte geschrieben, die man auf deiner Webseite lesen kann. Du scheust da nicht vor den ganz großen Gefühlen – wenn man es böse ausdrücken will, vor Kitsch – zurück.
Ich wollte die Texte zunächst auf Englisch schreiben. Ich dachte, das ist einfacher, weil man sich da traut, manche kitschigen Sachen auszusprechen. Aber ich habe all diese Sachen als extrem wichtig empfunden.
Aber eigentlich sprechen ja die Düfte selbst.
Ja, ich finde das ist eine total schöne Art zu sprechen.
http://www.atelier-oblique.com