„Wer echte Verbundenheit spürt, würde niemals den Regenwald abholzen“

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Bernd Kolb wird von einem Sadhu gesegnet, aus: Atman

Mit seinem Foto-Projekt Atman möchte der Visionär und Macher Bernd Kolb Weisheit in die Welt bringen

Menschen, die Neues in die Welt bringen, hören meist nicht auf das, was die Leute sagen. „Wenn ich die Leute frage, was sie wollen, antworten sie: ein schnelles Pferd“, hat Henry Ford gesagt – und sich bekanntlich nicht mit Pferden abgegeben. Visionäre folgen ihrer inneren Stimme, auch wenn sie manchmal nicht wissen, wo sie sie hinführen wird. Bernd Kolb ist einer von ihnen. 1993 entwarf er mit seiner Agentur I-D Media das erste werbliche Internetportal Deutschlands – zu einem Zeitpunkt, als die meisten noch nie vom Internet gehört hatten, geschweige denn eine Vorstellung davon, wofür es gut sein könnte. 2005 wurde er Innovationsvorstand der Deutschen Telekom, „Punk-Innovator“, taufte der Spiegel den Mann, der in seiner Jugend Sänger der Punk-Band Blitzkrieg gewesen war. 2010 gründete Kolb das interdisziplinäre Netzwerk Club of Marrakesh mit dem Ziel die Welt zu verbessern. Eine Rede des amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore hatte ihn motiviert, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Er hielt Vorträge vor Entscheidern aus Wirtschaft und Politik. Er präsentierte Argumente, Zahlen, Daten, Fakten. Und musste feststellen: Wissen verändert gar nichts. „Mein Freund, der Hirnforscher Gerald Hüther sagt: ‚Der Mensch ist vernunftbegabtes Wesen’. Aber nicht jeder bedient sich dieser Begabung“, sagt Kolb und erzählt von einer Studie, in der Menschen auf der Straße vor die Wahl gestellt wurden, entweder sofort fünf Euro zu bekommen oder in zwei Wochen 20 Euro. „80 Prozent wollen lieber fünf Euro jetzt. Das ist natürlich unvernünftig, aber um Vernunft geht es offensichtlich nicht.

Unlearn what you have learned
Worum geht es dann? Was bringt Menschen dazu, ihr Verhalten zu ändern? Kolb dachte nach. Und stellte fest: „Wissen ist im Grunde eine Begrenzung, was es wirklich braucht, ist Weisheit.“ So machte er sich auf die Suche nach den Quellen der Weisheit. Vor vier Jahren begann er seine Reise, die ihn hauptsächlich durch Asien führte, und auf der er, wie er sagt, immer noch ist. Weisheit hat mit Erfahrung und Intuition zu tun, erklärt Kolb und zitiert Meister Yoda, der seinem Yedi-Schüler auf den Weg gibt: „You have to unlearn what you have learned.“
Als Kolb einem Mönch in Burma erzählte, dass sich unsere westliche Gesellschaft selbst als „Wissensgesellschaft“ bezeichnet, antwortete der Mönch: „Oh, I’m so sorry!“
Bernd Kolb traf Spirituelle Lehrer und Schamanen, wurde auf Java in die uralte Weisheitsphilosophie des Kejawen eingeführt. Ein Lehrer schickte ihn eine finstere Höhle, ein anderer tunkte ihn in einem heiligen Fluss unter Wasser, bis er fast ertrank. Er hörte Stimmen und fürchtete gelegentlich, jetzt endgültig verrückt geworden zu sein. Und er erlebte, das was als „Erleuchtung“ beschrieben wird: das des Gefühl wunschlosen ewigen Seins, der tiefen Verbundenheit mit dem Kosmos. Der eloquente Mann wird sehr behutsam und leise, wenn er von diesen Erfahrungen spricht. Wohl, weil er weiß, wie schnell man in die Eso-Spinner-Ecke geschoben wird. Vor allem aber, weil es um mystische Erfahrungen geht, von denen man im Grunde nicht sprechen kann.

Am vergangenen Samstag hatte ich auf dem Agape Zoe Festival Gelegenheit, mich mit Kolb zu unterhalten. Er saß auf einem Klappstuhl im idyllischen Garten des Eden in Pankow und rauchte. Als ein offizielles Foto gemacht werden sollte, warf er die Zigarette weg und sagte grinsend: „Erleuchtung und Rauchen – das geht für die Leute nicht zusammen.“

In deinem Vortrag hast du gerade gesagt, dass Wissen uns nicht weiter bringt.
Ich glaube in der Tat, dass Wissen oft verwechselt wird mit Meinung und das den Raum des Möglichen verengt. In unserer Gesellschaft, die sich ‚Wissensgesellschaft’ nennt, scheint das in erhöhtem Maße so zu sein. Je mehr wir zu wissen glauben, wer wir sind und wie die Welt funktioniert, desto klarer wird, dass in einem solchen Korsett Veränderung sehr schwierig ist.

Wie kommt es denn dann zu Veränderung?
Veränderung – ob persönlich oder kollektiv – läuft immer auf der Ebene des Bewusstseins und nicht der des Wissens. Wir handeln ja sogar oft im Widerspruch zu dem, was wir besser wissen. Handeln hat mit Haltung zu tun und Haltung kommt aus dem bewussten Sein, also dem Bewusstsein.

Du möchtest jetzt also nicht mehr Wissen vermitteln, sondern Bewusstsein?
Genau, das ist jetzt mein Werk. Ich versuche nicht mehr auf der intellektuellen Ebene mit dem Argument zu arbeiten, sondern eine Erfahrung zu ermöglichen, die in einem tiefen Inneren etwas bewegt. Da muss es, glaube ich, herkommen, wenn sich etwas zum Guten hin verändern soll.

Das tust du mit deinen „Atman“-Fotos, die du vom 1.Juni bis zum 30. September in der Berliner Malzfabrik zeigen wirst. Du hast die Fotos – meist Portraits von Menschen, die du auf deiner Reise getroffen hast – ja zunächst nur für dich gemacht dann aber erlebt, dass sie die Leute, denen du sie zeigst, sehr bewegen.
Ich hatte das nicht beabsichtigt, es war kein Plan dahinter. Aber ich habe gemerkt, als ich die Bilder Freunden gezeigt habe – ohne große Ankündigungen zu machen –, dass einige sofort unglaubliche Erfahrungen gemacht haben, sich stark berührt gefühlt haben.

Du hast die Bilder dann auch ins Netz gestellt, mit der Aufforderung, sie mindestens drei Minuten lang in Ruhe anzuschauen.
Ja, auch hier gab es eine große Reaktion. Innerhalb von sieben Monaten haben über 100.000 Menschen die Bilder angeschaut. Ich habe viele Tausend Zuschriften bekommen.

Was haben die Leute denn so geschrieben?
Einer zum Beispiel hat geschrieben: ‚Meine Frau hat mir gesagt, ich soll das mal machen und dann war das unglaublich, ein ganz merkwürdiges Gefühl, Liebe vielleicht?’

Du durftest ja sogar an Orten und bei Zeremonien fotografieren, die eigentlich geheim gehalten werden.
Ja, ich habe mich an dem einen oder anderen Ort gefragt, wo es schon schwierig ist, überhaupt mitgenommen zu werden, warum sagt dort jemand zu mir: ‚Nimm die Kamera und mach ein Foto.’ Immer wieder habe ich gehört: ‚Die Bilder sind wichtig’. Das schien mir damals unglaublich.

Jetzt nicht mehr?
Inzwischen ist mir bewusst geworden, was das Besondere an diesen Bildern ist. Die Orte und Personen sind ja völlig unterschiedlich, aber die Momente, in denen sie entstanden gleichen sich: Es waren Momente der Nähe, in denen es kein Ich und kein Du mehr gab. Ich habe diese Erfahrung des Einsseins gemacht, eine Erfahrung, die mein Bewusstsein verändert hat und ich glaube, dass es diese Erfahrung ist, die den Bildern ihre Kraft gibt.

Das heißt, Du bist weniger Schöpfer als Vermittler?
Ja, es hat mit mir zu tun, ist aber größer ist als ich selbst. Ich fühle mich wie der Botschafter und maße mir nicht an, der große Meister zu sein. Aber es ist so, dass mir diese Gabe gegeben wurde – mit der Aufgabe, Menschen zu erreichen.

In der Malzfabrik werden die Bilder nicht einfach ausgestellt, es werden Erfahrungsräume geschaffen, hast Du ein Sendungsbewusstsein?
Es geht mir schon darum, Menschen zu erreichen. Auch solche, die nicht schon seit 17 Jahren Yoga machen und seit 800 Jahren meditieren. Kunst hatte immer die Aufgabe, ein Medium zu sein und das sind diese Bilder auch. Und ich freue mich wahnsinnig, dass es gelungen ist, eine Ausstellung zu konzipieren, die nicht einfach Bilder an die Wand hängt, sondern Räume schafft, wo es einem leicht fällt eine solche Erfahrung zu machen.

Und die kann jeder machen?
Ich kann jeden nur von Herzen einladen – ob er das Ganze nun glaubt oder nicht – einfach mal hinzugehen. Ich erwarte von niemandem irgendetwas und ich behaupte auch nichts, ich biete es nur an.

Du hast in der Höhle auf Bali und in dem Fluss auf Java Erlebnisse gehabt, die man als „Erleuchtung“ beschreiben kann. Bist du also jetzt erleuchtet? Und wie kann man sich das vorstellen – ist es, als würde ein Schalter umgelegt und danach ist alles anders?
Ja, die Erleuchtung. (Seufzt) Dieses eine große Erlebnis und danach ist alles anders – meine Antwort lautet: Es ist nicht so. Es ist nicht dieses eine Ding, das dein Leben ändert, aber es ist eine eindrückliche Erfahrung, die dir zeigt, welche Möglichkeit es gibt. Erleuchtung ist ein Zustand, in den man kommt, wenn alles Äußere verschwindet und das hat etwas mit Lebenspraxis zu tun. Und damit, wie sehr man bereit und in der Lage ist, loszulassen. Ich kann sicher sagen, dass auch die Erleuchtetsten, die ich getroffen habe, wenn sie in ihren Alltag und in ihre Konfrontation mit dem Außen gehen, nicht besonders erleuchtet sind. Aber sie haben einen Zugang, den sie jederzeit betreten können.

Und den hast du jetzt auch?
Ja, diese Erfahrungen – ich habe das ja nicht nur einmal gehabt – haben mir die Möglichkeit eröffnet. Es ist wie eine Tür, durch die ich gehen kann. Aber ich kann das natürlich nicht, wenn ich gerade beim Lidl an der Kasse stehe. Es ist im westlichen Alltag bei all dem Stress und der ständigen Überflutung mit Reizen zugegebenermaßen schwierig, diese Stille zu finden, aber das kann man üben.

Durch Yoga und Meditation?
Es gibt viele Möglichkeiten. Die Praktiken sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich, aber alle zielen auf dasselbe. Den Weg muss jeder für sich finden.

Braucht es dafür einen Guru?
Man braucht tatsächlich Anleitung. Guru bedeutet ja wörtlich übersetzt: ‚derjenige, der dich aus der Dunkelheit ans Licht bringt’.

Also gewissermaßen die Anleitung zur Erleuchtung gibt?
,Erleuchtung’ ist ja auch nur ein Versuch etwas zu beschreiben, was man nicht mehr beschreiben kann. Wenn du jemanden nach einer Erleuchtungserfahrung fragst, und der kann dir minutiös beschreiben, was das ist, dann würde ich sagen, das ist eher ein Hirngespinst. Ich jedenfalls kann es nicht genau beschreiben und ich kenne auch keinen, dem ich zutraue, dass er es hatte, der das kann.

Dennoch wird viel darüber gesprochen.
Die Wege, wie man die Erfahrung teilen kann, sind Poesie, Märchen, Musik, Kunst – also Formen, etwas zum Ausdruck zu bringen, was dich berührt und nicht durch deinen Kopf läuft. Alles, was durch deinen Kopf läuft, ist im Grunde schon der Gegenentwurf zur Erleuchtung.

Nicht jeder hat, so wie du, die Möglichkeit, für ein paar Jahre nach Bali oder Java zu ziehen, um dort mit spirituellen Meistern zu lernen. Was können wir in unserem Alltag mit Job und Familie tun?
Die gute Nachricht ist: Bewusstsein hat nichts mit dem Ort zu tun, an dem man lebt. Es ist integrierbar in den Alltag. Nur muss man sich klar sein: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ gibt es halt auch nicht. Man muss schon die Auseinandersetzung mit sich selbst suchen und den Mut haben, das, was man fühlt, ins Leben zu bringen. Wir leben in einer Zeit, wo wir viele Freiheiten haben und viel gestalten können, so dass ich nicht akzeptieren kann, wenn mir einer sagt: ‚Ich kann nur das machen’. Ich rate jedem, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wenn man sich Zeit nimmt, um mit sich zu sein, kommen die Antworten auf bestimmte Fragen ganz automatisch.

http://www.atman.de

 

 

 

 

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