Der Tanz von Schmerz und Freude

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Nico Rönpagel empfängt in der schönen Niederlassung des Forums for Meditation and Neuroscience, einer prächtigen Altbauwohnung in Prenzlauer Berg. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat der studierte Kunstpädagoge, Yoga- und Meditationslehrer das private Institut, das sich der Vermittlung von Theorie und Praxis der Meditation widmet, als Projektmanager unterstützt. Nun ist es Zeit weiter zu ziehen und etwas anderes zu tun, was genau, weiß er noch nicht

Bevor er meine Fragen beantwortet, lädt er zu einer gemeinsamen Mini-Meditation, die er mit einem Gong einleitet und beendet. Der jungenhafte 35-jährige mit den leicht verwuschelten Haaren spricht sehr ruhig und klar und schließt, wenn er sich auf seine Antworten konzentriert, immer wieder lange die Augen.

Wie kamst Du dazu, Dich mit dem Thema Schmerz zu beschäftigen?
Gut 30 Jahre lang lief mein Leben super einfach. Schmerz erlebte ich höchstens wenn ich mit dem Fahrrad hinfiel, aber seelischen Schmerz kannte ich nicht. Dann ging die Beziehung zu der Frau, die ich für die Frau meines Lebens gehalten hatte, in die Brüche. Und der tiefe Herzschmerz, den ich da erlebt habe, war so enorm, dass er mich umgehauen hat. Tatsächlich – eines Nachts hatte ich so einen heftigen Schmerz in den Gedärmen, dass ich den Notarzt gerufen hätte, wenn ich noch in der Lage gewesen wäre, mich zu bewegen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass meine Gedanken, mein Körper, mein energetisches System zu so heftigem Schmerz fähig sind.

Hattest Du Dich für gefeit gehalten?
Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon seit 15 Jahren täglich meditiert, habe Yoga geübt, getanzt und in gutem Kontakt zur Natur gelebt, ich habe immer gedacht, ich wäre ziemlich ausgeglichen und wenn so etwas käme, würde ich es gut wegstecken können.

Hat aber nicht so funktioniert?
Nein. Der Schmerz hat mich vollkommen umgehauen. Aber da habe ich mir gesagt: ‚Face it. Öffne dich dem Schmerz.’

Und das konntest Du dann?
Ich lerne es noch immer (lacht).

Wie hat sich der Schmerz entwickelt? Hast Du ihn überwunden?
Er war ungefähr ein Jahr lang sehr intensiv da. Ich konnte schlecht schlafen – auch zum ersten Mal in meinem Leben. Ich war ungeerdet, meine Gedanken haben ein eigenes Spiel entwickelt, immer wieder Storys, Bilder, Perspektiven wiederholt, die bestimmte Emotionen getriggert haben. Da habe ich gemerkt: ‚Wow da ist eine solche Kraft in dieser Verletztheit!’

Aber du hast weiterhin meditiert. Hat dir das geholfen?
Ja, ich habe weiterhin meditiert und am tiefsten Punkt meiner täglichen Meditation konnte ich in den Raum gehen, der unter dem Schmerz liegt, in diese tiefe Entspannung, wo alles ok ist. Wo die zeitliche Dimension weg ist und ich gesehen habe: Das eine führt zum anderen und lebt nur mit dem anderen. Der Tanz von Schmerz und Freude, von Liebe und Verletztheit – da bin ich jeden Tag eingetaucht, zumindest ein paar Minuten lang, auch wenn es den Rest des Tages nicht funktioniert hat.

Und das war heilsam?
Dass ich jeden Tag zumindest kurz in diesem Raum eintauchen konnte – daraus habe ich eine enorme Kraft gezogen. Es geht nicht darum, unangenehme Gefühle zu leugnen, sondern einzutauchen und das Große zu spüren, das die Oberfläche einschließt. Mir ist bewusst geworden, wie heilsam es ist eine kontemplative Praxis zu haben, die mich erinnert, dass dieser Schmerz und die Geschichten, die damit zusammen hängen, nicht absolut sind.

Daraus ist der Impuls entstanden, den Workshop zu konzipieren?
Ich habe gedacht, wenn es mich – der ich schon einiges an Disziplin habe – so umhaut, muss es andere Menschen vielleicht noch viel mehr umhauen. Ich habe auch an Menschen gedacht, die chronisch emotionalen Schmerz erleben und habe zum ersten Mal verstanden, was Depression bedeutet, was ich mir vorher gar nicht vorstellen konnte. Und dann habe ich mir gesagt: ‚Ok, ich habe ein paar Methoden gefunden, die mir geholfen haben, damit umzugehen, warum kreiere ich nicht ein Format, um anderen Menschen Einblicke in diese Methoden zu geben, vielleicht passt ja irgendetwas für die.’

Was ist dir das Wichtigste in deinem Workshop? Was möchtest du vermitteln?
Ich glaube ohne Geschichte gäbe es keinen Schmerz, ohne Anhaftung an eine Geschichte, eine Idee: ‚Ich bin das Opfer, ich bin der Täter’. Das sind immer sehr eingeschränkte Interpretationen von Leben. Wenn ich erkenne, dass ich nicht das das kleine Ich bin, verschwindet auch Anhaftung an den  Schmerz, das finde ich so interessant.

Das ist mir sehr deutlich geworden als wir in deinem Workshop in schneller Folge immer wieder die Fragen: ‚Was denkst du?’ ‚Was fühlst du in deinem Herzen?’ ‚Was fühlst du in deinem Körper?’ beantwortet haben. Da habe ich gemerkt, dass ein großer Teil des Schmerzes im Kopf passiert, in Gedanken.
Und dass die Gedanken den Schmerz immer wieder neu antreiben. Und wieder neu etwas im Körper auslösen, auch biochemisch. Das habe ich auch in diesem einen Jahr festgestellt, wie diese immer gleichen Gedanken sich auf den Körper ausgewirkt haben.

Arbeitest du deshalb in dem Workshop viel mit Körperübungen – Tanz, intuitive Berührung mit einem Partner, dem meditativen Körperspüren?
Meine zwei größten Medizinen im Leben sind Meditation und Tanz. Und ich habe erfahren, dass ich im körperlichen Ausdruck – ‚Schmerz tanzen’, ‚Gedanken tanzen’ – ganz viel Raum geschaffen habe, wirklich Heilung erfahren habe. Das mit der inneren Praxis, der Meditation zu verbinden, darum geht es.

Welche Rolle spielt der Körper in dieser Erfahrung?
Als Menschen haben wir diese Körper, die sich permanent wandeln. Alles drückt sich körperlich aus, ohne Körper würden wir Gedanken und Gefühle nicht so erleben wie wir es tun. Hätte ich deinen Körper, würde ich anders denken, würde ich anders wahrnehmen, fühlen. Insofern ist der Körper ein Weg zu Erkenntnis, ein Weg zu tieferer Einheit. Er kann ein Weg sein, um Heilung zu erfahren, um Intuition zu entwickeln.

Und wohin führt uns die Intuition?
Idealerweise dazu, dass wir Weisheit entwickeln. Uns der Weisheit öffnen. Dazu gehört, dass wir tief verstehen, dass es Vergänglichkeit gibt. Und das nun einmal ein Tanz existiert zwischen Leben und Schmerz. Und dass wir diesen Tanz nicht zulassen, wenn wir an dem Schmerz festhalten oder wenn wir an dem Schönen festhalten. Dann ist der Flow unterbrochen und der Tanz funktioniert für beide Seiten nicht. Das ist eine Form von Weisheit, die ich vermitteln möchte. Zu der ich einladen möchte.

Was bedeutet Weisheit für Dich?
Weisheit ist für mich ist ein Bewusstsein davon, dass alles Leben miteinander verbunden ist. ‚The awareness of the profound interconectedness of all life’ wie ich es in meiner Doktorarbeit beschrieben habe. Und synonym dazu gilt: Weisheit ist Mitgefühl. Aus dem Verständnis, dass alles zusammenhängt – das gilt für mich selbst, meinen Körper, meinen Geist, mein Herz, für soziale Systeme und es gilt planetar – erwächst ein Mitgefühl.

Du hast in dem Workshop von ‚Heiligem Schmerz’ gesprochen, was meinst du damit?Bestimmte Erfahrungen – die können emotional sein, körperlich, energetisch – sind so tief, dass sie ein Zeichen geben, mich mit meiner Bestimmung verbinden. Das kann durch Freude passieren, aber auch durch Verlust oder Schmerz. Es geht um Intensität, um Tiefe. Um Momente, in denen ich feststelle: ‚Das macht total Sinn’. Momente, für die ich dankbar sein möchte im Augenblick meines Todes. Ich habe jahrelang – bevor mein Schmerz kam – gesagt: ‚I dont want to be happy, I want to be deep.’

Und dann hat das Leben deinen Wunsch nach Tiefe in Form von Schmerz erfüllt. Konntest du zu deinem Vorsatz stehen?
Mal ja, mal nein. Aber dadurch dass das wirklich mein Wunsch ist und ich es in bestimmten Meditationsformen geübt habe, konnte ich es ein bisschen besser anwenden als wenn es ein komplett neues Konzept für mich gewesen wäre. Es geht darum, so tief zu erleben, dass ein Gefühl von Sinnhaftigkeit entsteht, das nichts mehr damit zu tun hat, ob eine Erfahrung ‚schön’ oder ‚hässlich’ ist.

Würdest du also sagen, dass es möglich ist, glücklich zu sein, obwohl man Schmerz leidet?
Ich bin kein Buddhist, aber wahrscheinlich ist das, was ich jetzt sage, ein bisschen buddhistisch: Es gibt verschiedene Ebenen des Seins – Emotionen, Gedanken, Körpererfahrungen. Auf einer Ebene wird immer wieder Schmerz da sein, er kommt und geht. Aber heißt das per se, ich kann nicht glücklich sein?
Wenn ich mich mit der Ebene des höheren Bewusstseins verbinde, mit dem ‚Big Picture’ und mir klar wird, dass Gedanken und Gefühle und Körperempfindungen nur vorübergehende Phänomene sind. Dann, dann glaube ich, gibt es – auch mit Schmerz – eine tiefe Zufriedenheit und Dankbarkeit, ein tiefes Glück.

Was macht dich glücklich?
Mich macht glücklich, wenn ich mich mit dem Tiefsten verbinde, das ich spüren kann.

Nächster Workshopp ‚Embracing Pain’:
Agape Zoe Festival No. 13, Berlin, Sa. 13.1.2018, 15.30-17.30 Uhr
http://agapezoe.com/de/berlin-festival/berlin-artists/nico-roenpagel-embracing-pain/

Meditation mit Nico:

Jeden ersten Dienstag im Monat, 19 Uhr im cocreation.loft in Kreuzberg
https://www.facebook.com/events/1992654934347632/
Gelegentliche Dienstag 19.30 Uhr, Abende der Offenen Meditation beim Forum for Meditation & Neuroscience, Prenzaluer Berg
https://www.facebook.com/events/136535290391346/

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