Vor dem Gespräch im Amano-Hotel in Berlin bestellt sie sich Guru Jagat einen Cappuccino. Nicht nur deshalb wirkt die Amerikanerin sympathisch unabgehoben. Mit ihrer rauen Lache, der wilden Lockenmähne und der deftigen Ausdrucksweise könnte man sie selbst für einen der Rockstars halten, die gerne zu ihr in den Unterricht kommen. So passt es gut, dass sie zum Ende ihrer Stunden gerne einen Gong spielt, der einst Van Halen gehörte.
In Deinem Buch steht, dass Sie jeden morgen um 3.30 Uhr aufstehen und erst einmal kalt duschen, heute auch?
Ja klar, heute habe ich sogar schon zweimal kalt geduscht, einmal heute Früh in Rom und jetzt gerade hier in Berlin. Und kalte Dusche in Berlin heißt echt kalte Dusche, nicht wie bei uns in Los Angeles.
Kalte Dusche ist für mich das Schlimmste!
War für mich auch mal so. Tatsächlich habe ich mit den kalten Duschen angefangen, lange bevor ich mit Kundalini-Yoga angefangen habe. Ich war sehr jung, gerade nach New York gezogen und hatte ganz schöne Angst vor dieser Stadt. Also habe ich den Tag mit einer kalten Dusche angefangen, damit mich danach nichts mehr erschrecken kann. Ich sage immer: It takes the bitch out of you!
Im Gegensatz zu anderen Yogarichtungen, die auch als Gymnastik durchgehen, wirkt Kundalini mit seinen weißen Klamotten und Turbanen, den seltsam hechelnden Atemübungen und endlos wiederholten Bewegungsabläufen esoterisch abgehoben, dennoch hat gerade Kundalini großen Zulauf, warum glaubst du ist das so?
Ganz einfach, weil es so gut funktioniert! Kundalini ist ein Übungssystem aus Bewegung, Atem, Meditation und Klang, das den menschlichen Körper und Geist optimiert. Ich nenne es eine Technologie, weil es so präzise ist.
Was kann Kundalini, das andere Yoga-Formen nicht können?
Kundalini-Übungen bringen die Hirnchemie ebenso ins Lot wie das Drüsensystem, den Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System. Und das sehr schnell. Deshalb ist Kundalini so erfolgreich. Yogi Bhajan hat das schon in den 1970er-Jahren voraus gesagt: Je mehr die Technik unser Leben bestimmen wird, desto mehr werden sich die Menschen nach Methoden sehnen, mit denen sie schnell Balance und Konzentration wieder finden.
In Deinem Buch schreibst du, dass man im Kundalini-Yoga schon nach wenigen Minuten „Neuland betreten und zu Gipfelerlebnissen“ kommen kann. Du selbst hast das ja offenbar gleich in deiner ersten Stunde erlebt?
In den ersten 20Sekunden. Ich spürte extreme Energiewirbel in meinen Chakras und in meiner Kopfkrone. Es war kurz nach 9/11 und ich war gerade nach New York gezogen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon länger Ashtanga-Yoga geübt, aber eine solche Erfahrung habe ich beim Ashtanga nie gemacht. Dieser schnelle Energieflash – das ist es, was ich im Yoga will!
Du betonst mehrfach in deinem Buch, dass es ganz einfach sei, das Körper-Geist-System ins Lot zu bringen und so etwa die eigene Stimmung zu regulieren. Obwohl ich das seit vielen Jahren übe, finde ich das gar nicht einfach. Was stimmt nicht mit mir und all den anderen, die das ganz schön schwierig finden?
Die richtige Anleitung. Gibt es Ikea in Deutschland?
Ja, gibt es.
Ich greife gerne auf die Ikea-Metapher zurück. Es ist, als ob wir diese komplizierte Körper-Geist-Maschine bekommen und alles an Anleitung, was mitgeliefert wird, ist dieser kleine Zettel mit ein paar Sätzen auf Schwedisch. Und so glauben wir, wir können essen, was wir wollen, schlafen, wann wir wollen, denken, was wir wollen, jede Menge Party machen und trotzdem optimal funktionieren.
Und Kundalini-Yoga liefert die Gebrauchsanweisung?
Genau. Wenn du ein ausgeglicheneres Gefühlsleben und einen fokussierteren Geist willst, musst du Dinge anders machen. Wenn du weißt, wie, ist das nicht schwierig.
Wie denn zum Beispiel?
Tiefer atmen! Flacher Atem erzeugt Angstzustände, tiefer Atem vertreibt sie.
Das klingt ein bisschen sehr einfach.
Aber es ist einfach! Merkwürdigerweise halten viele gerne an dem Glauben fest, es müsste kompliziert sein. Das ist aber nur ein gedankliches Muster. So wie viele an ihrem Leiden festhalten anstatt sich ihrem Glücklichsein zuzuwenden.
Diese Denkweise, die uns Europäern sehr amerikanisch erscheint, ist einerseits verlockend, weil sie Hoffnung macht. ‚Du musst nur wollen, dann wirst Du gesund, glücklich und reich’. Ich persönlich fühle mich aber von Aussagen wie deinem „Hast du dein endokrines System ins Gleichgewicht gebracht, ist es völlig ausgeschlossen, dass du depressiv wirst“ unter Druck gesetzt, da ich immer wieder unter Angstzuständen und unter Depressionen leide und eben nicht durch Yogaübungen allein gesund werde, sondern Medikamente brauche. Die werden dann – auch in deinem Buch – als Geldmacherei der Pharmaindustrie verteufelt.
Es geht mir keinesfalls darum, Medikamente oder auch medizinisches Marihuana zu verteufeln. Wenn sie dir helfen, gut! Ich sage ganz deutlich: Du kannst die Praktiken mit allem kombinieren und sie werden dir gut tun. Ich lebe in Kalifornien, da nimmt doch jeder irgendwas, wer bin ich das zu verurteilen! Neulich wurde ich engagiert, Rihannas Entourage eine Yogastunde zu geben. Als ich hinkam, rauchten die gerade alle fette Joints und kaum, dass die Stunde vorbei war, zündeten sie sich wieder welche an. Kein Problem für mich, ich bin sicher, dass das Yoga ihnen trotzdem gut getan hat.
Mit dieser Einstellung unterscheidest du dich deutlich von vielen Kollegen.
Ja, ich weiß. Ich wundere mich immer, wie viele Leute in der Yogawelt trotz eines immer biegsameren Körpers immer enger im Kopf werden. Das ist nicht die Absicht des Yoga! Für mich ist ein Yogi jemand, der flexibel in Körper und Geist ist. Die Asana ist eine Metapher für deinen Geist.
Was ist das Wichtigste, das du deinen Schülern gibst?
Humor. Ich glaube, dass es in der spirituellen Welt oft sehr steif und zugeknöpft zugeht. Alles ist so super ernst, politisch korrekt, streng vegan blablabla. Bei mir nicht, ich bin ziemlich gerade raus. Und wenn ich einen Witz mache, kann ich förmlich spüren, wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Gruppe geht, weil ich nicht auf dem hohen Ross daher komme und mich für etwas Besseres halte.
Du hast gesagt, dass Kundalini-Yoga heute mehr denn je gebraucht wird. Kannst du erklären, warum?
Die junge Generation kann mit den traditionellen Kirchen nichts mehr anfangen, dennoch hat sie spirituelle Bedürfnisse, die im Yoga befriedigt werden. Außerdem sind junge Menschen heute enorm gefordert, sie haben eine ausgesprochen anspruchsvolle Mission auf diesem Planeten. Dafür brauchen sie das Wissen und die Mittel, die Yoga zu Verfügung stellt.
Darüber hinaus leben wir ja alle quasi mit dem iPhone in der Hand. Hatten wir vor ein paar Jahren zwei E-Mail-Accounts haben wir heute sechs. Die Belastung unseres Nervensystems ist enorm. Hier bietet Yoga Abhilfe.
Wer sich mit Yoga beschäftigt, stößt früher oder später auf den Begriff Erleuchtung. Kannst du damit etwas anfangen?
Ich glaube, der Begriff ist ein bisschen veraltet. Das war so ein Anliegen der New-Age-Hippie-Szene der 1970er-Jahre. Wer heute jung ist, hat andere Sorgen. Menschen heute suchen schlicht Mittel und Wege, ihren Alltag zu meistern – vergiss Erleuchtung.
Was macht dich glücklich?
Kreativ sein, mit meinem Pekinesen am Kamin abhängen und ein schönes Essen aus frischen Produkten kochen.