Natur macht glücklich.
Ich wohne am Stadtrand. Es gibt weit und breit kein Yogastudio und kein gutes Café, dafür Futtermittelläden und mit Glitzergirlanden geschmückte Gebrauchtwagenplätze. Freunde aus innerstädtischen Bezirken kommen nur zu besonderen Anlässen vorbei. Aber ich bin in wenigen Minuten auf dem Feld oder im Wald. Und da gehe ich fast jeden Tag hin. An meiner Lieblingsstelle im Wald ist es gerade besonders schön. Aus dem braunen Laub ist ein dichter Teppich kleiner grüner Blätter und gelber Blumen gewachsen. An den Zweigen sind die ersten zartgrünen Blätter aufgetaucht wie von einem impressionistischen Maler hingetupft. Der Frühlingswind treibt weiße Wolkenformationen über den blauen Himmel und gelegentlich vor die Sonne. Lange kann ich einfach so dastehen und die wechselnden Lichtstimmungen betrachten. Wenn mich niemand sieht, umarme ich Bäume (meist einen bestimmten Baum, den ich für eine Bäumin halte, aber dazu ein andermal mehr).
So sehr ich Städte mag – in Gärten, im Wald oder am Strand geht es mir einfach besser. Nicht nur mir. Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen, dass der Aufenthalt in der Natur Stress abbaut. Der gesundheitsfördernde Effekt von Bewegung im Grünen ist deutlich höher als die gleiche Bewegung zwischen Häusern, wie in einer Studie in Japan kürzlich herausgefunden wurde. Menschen, die sich in der Natur bewegen, haben einen niedrigeren Puls, einen niedrigeren Blutdruck und eine höhere Herzfrequenzvariabilität, (Zeichen für niedrigen Stresslevel), Stimmung und Wohlbefinden sind besser als bei Stadtspaziergängern. Selbst noch der Anblick von Bäumen vom Zimmerfenster aus wirkt stressreduzierend. Sind wir in der Natur, lässt auch die ungesunde Neigung zu besorgniserregenden Grübeleien – typisch für Depressionen und Angststörungen – deutlich nach.
Selbst bei Menschen, die mitten in der Stadt wohnen (und sich dort durchaus wohl fühlen) verändert sich die Hirnaktivität, wenn sie in der Natur sind, wie Forscher der Heriot-Watt Universität in Edinburgh herausgefunden haben, indem sie Probanden mit mobilen EEG-Geräten auf Spaziergänge schickten. Im Grünen war das Erregungspotenzial deutlich geringer als beim Flanieren durch die Stadt. Angesichts von Wäldern, Feldern oder Bergen schaltet das Hirn in den Ruhemodus, in dem es sich am schnellsten regeneriert. Nach einem Waldspaziergang sind Aufmerksamkeitsspanne, Merkfähigkeit und Problemlösungskompetenz deutlich höher als vorher.
Ehrfürchtiges Stauen, das glücklich und gesund macht
Es gibt das schöne englische Wort „Awe“ – es gibt ziemlich genau den Laut wieder, den man beim Empfinden des mit diesem Wort beschriebenen Gefühls von sich gibt. Wir haben kein entsprechendes deutsches Wort, am ehesten trifft es „ehrfürchtige Staunen“.
Wir empfinden es beim Anblick eines Sonnenaufgangs, einer 200 Jahre alten Eiche oder der Weite des Meeres.
Dieses Gefühl wird im Zusammenhang mit religiösen, ästhetischen und vor allem Natur- Erlebnissen schon lange beschrieben , aber erst seit kurzem ist es Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Zum Thema „Awe“ forscht unter anderem Dacher Keltner von der Universität Berkeley. Er definiert „Awe“ als „das Gefühl der Präsenz von etwas, das größer ist als man selbst und das die Grenzen unseres Wissens überschreitet“ und hat herausgefunden, dass das ehrfürchtige Staunen das einzige Gefühl ist, das den Zytokin-Spiegel im Blut senkt. Zytokine spielen eine Rolle bei entzündlichen Prozessen und werden gebildet, wenn unser System unter Stress steht. Außerdem löst das ehrfürchtige Staunen in der Natur Glücksgefühle aus.
Dass Natur Menschen glücklich macht, führte der Biologe Edward O. Wilson auf die uns angeborene Biophilie – die Liebe zu Lebendigem zurück. Im Laufe der Evolution, so seine 1984 aufgestellte These, habe sich bei Menschen eine Affinität zu den vielen Formen des Lebens und zu den Ökosystemen, die Leben ermöglichen, herausgebildet. Dass uns die Liebe zu natürlicher Schönheit angeboren ist, habe damit zu tun, dass sie natürliche Ressourcen wie Wasser und Fruchtbarkeit anzeigt.