Glücksleitungen legen
Wohl kaum etwas kann man so bedenkenlos allgemeingültig formulieren wie „Jeder will glücklich sein.“ Jeder will sich gut fühlen und wohl auch jeder weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich gut fühlt. Dennoch gelingt es uns oft nicht. Was natürlich zum Teil an den Umständen des Lebens liegt – es passieren nun mal ziemlich viele blöde Dinge.
Aber eben nur zum Teil. Zum anderen – und möglicherweise größeren – Teil, liegt das daran wie unser Gehirn funktioniert – und wie wir es einsetzen.
Es wird geschätzt, dass sich das Wissen über unser Gehirn in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat. Das liegt vor allem an modernen bildgebenden Verfahren, die die Arbeitsweise des Gehirns sichtbar machen können. Interessanterweise hat sich dabei herausgestellt, dass altes Wissen über das Funktionieren des menschlichen Geistes – insbesondere das aus der buddhistischen Tradition – sich mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft deckt. Die wesentliche Botschaft des Buddhismus lautet: Es ist unser Geist, der unsere Wirklichkeit bestimmt, daher besteht der Weg zum Glück darin, den Geist durch Meditation beherrschen zu lernen.
Genau diese Tatsache hat die Hirnforschung mittlerweile bestätigt. Jedes Denken, Vorstellen, Erinnern, jedes innere Bild entsteht durch die Aktivierung und das Zusammenspiel bestimmter Nervenzellen. Solche Nervenzellen, die oft gemeinsam aktiviert werden, vernetzen sich. Sie bilden feste Bahnen, so wie ein Wagen, der immer wieder den selben Feldweg entlang fährt, Spurrillen im Boden hinterlässt. Umso tiefer die Rillen werden, desto schwerer wird es, mit dem Wagen neben der gewohnten Spur zu fahren. Amerikanische Forscher haben diese Tatsache auf die knackige Formel gebracht. „Neurons that fire together wire together“ – Neuronen, die zusammen aktiviert werden, vernetzen sich.
Das bedeutet nichts anderes, als dass unsere Gedanken und Gefühle unser Gehirn formen. Und zwar ständig. Lange schon ist die Vorstellung überholt, dass die Bahnen einmal in der Kindheit festgelegt werden und dann ein Leben lang Bestand haben. Tatsächlich bleibt das Gehirn bis zum Tod plastisch. Und wir sind in der Lage, diese Neuroplastizität selbst zu steuern.
Leider gibt es dabei eine Schwierigkeit zu überwinden: Die Vorliebe unseres Gehirns für Negatives.
Die liegt in der Tatsache begründet, dass die wesentlichen Funktionen unseres Gehirns sich seit der Steinzeit nicht verändert haben. Damals ging es vorrangig darum, unser Überleben zu sichern und daher auf Bedrohungen zu achten – und nicht auf die schöne Blume am Wegrand. Wie viele grüne Ampeln fallen dir auf dem Weg ins Büro auf? Und denkst kurz vor dem einschlafen an die freundlichen Dinge, die dein Mann heute zu dir gesagt hat oder an den einen Kommentar, der dich echt geärgert hat? Eben.
Wir interessieren uns mehr für schlechte Nachrichten als für gute – die Medien reagieren bereitwillig darauf und füttern unsere Steinzeithirne mit Horrormeldungen. Ein Widerspruch entsteht: wir sehnen uns danach glücklich zu sein und nähren dennoch ständig unsere Ängste und Sorgen.
Dem etwas entgegenzusetzen erfordert Beharrlichkeit, aber es funktioniert. Wenn der Wagen auf dem Feldweg nur lange genug einen anderen Weg nimmt, verschwindet nach und nach die alte Spur, eine neue wird gelegt.
Wie man Glücksleitungen im Gehirn verlegt, erklärt der Neurowissenschaftler und Meditationslehrer Rick Hanson unterhaltsam in seinem Klassiker „Das gelassene Gehirn eines Buddha.“ Einen kurzen Eindruck bekommt man in seinem Vortrag „Hardwiring Happiness“
https://www.youtube.com/watch?v=jpuDyGgIeh0
Im wesentlichen geht es darum, positive Erfahrungen, die viel zu oft unbemerkt vorübergehen, zu bemerken und auszukosten. Eine Erfahrung muss eine bestimmte Zeit im Bewusstsein bleiben, damit sie im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. Es müssen gar keine spektakulären Erfahrungen sein, sondern es geht um das Sammeln vieler kleiner glücklicher Momente, die zusammengenommen ein immer größeres Glück ergeben. Probiere es aus: Stelle Dir etwas Schönes vor, das dir kürzlich passiert ist (Jemand hat dich in der U-Bahn angelächelt, dein Kollege hat dir einen Kaffee mitgebracht) und koste das gute Gefühl so richtig aus, indem du dir alles ganz genau vorstellst und in deinem Körper wahrnimmst, wie genau sich das gute Gefühl anfühlt. (Du kannst natürlich auch ein weiter zurückliegende Ereignis nehmen). Absorbiere das gute Gefühl, indem du dir vorstellst, wie es sich deinem Gehirn und Körper einprägt. Wenn du ein bisschen geübt darin bist, kannst du auch das so erzeugte gute Gefühl mit einer unangenehmen Erinnerung verbinden und deren negative Wirkung so nach und nach verringern. Also zum Beispiel ein Erfolgsgefühl in eine Versagenserinnerung einbauen. Eine Erinnerung ist nämlich auch nur eine bestimmte Neuronenverbindung und damit nicht „realer“ als eine Vorstellung.
Wichtig ist, ein bisschen Geduld aufzubringen und immer weiter zu üben – unsere bestehenden Denkgewohnheiten haben sich ja auch über Jahrzehnte verfestigt. Eine Reihe hilfreicher Meditationen, die Rick Hanson zusammengestellt hat, findet man hier:
https://www.youtube.com/watch?v=44FvpBCxO_I&list=PLh3xB31kOqkD376YdoJabpX5sB6hyCRg-&index=2
„Wenn du dich um die Minuten kümmerst“, sagt ein tibetisches Sprichwort, „kümmern sich die Jahre um sich selbst.“