Heute Morgen hielt mich einmal wieder die Traurigkeit fest in ihren düsteren Klauen. Ich hätte diesen Blog Sadster nennen sollen, denke ich, was verstehe ich denn schon vom glücklich sein? Bin ich doch wohl das, was die Bergarbeitertochter und Folksängerin Sarah Ogan Gunning als „Girl of Constant Sorrow“ besang. Was mich zum Thema Musik bringt. Ich mochte traurige Musik immer schon viel lieber als fröhliche. Während mir Sambarhythmen und fetziger Funk nach kürzester Zeit auf die Nerven gehen, bekomme ich von düsteren Balladen nie genug. Ich glaube, das liegt an Leonard Cohen.
Mein Vater schenkte meiner Mutter die Platte Songs of Leonard Cohen zum 35. Geburtstag. Da war ihre Ehe schon in die Brüche gegangen und die Schokoladentorte, die er auch noch gekauft hatte, war beim Herausnehmen aus der Schachtel auf den Boden gefallen und lag jetzt als notdürftig zusammengekratzter kerzengespickter Haufen auf dem Teller. Möglicherweise war der Himmel wolkenverhangen, aber tatsächlich weiß ich das nicht mehr. Dafür erinnere ich mich an die eindringliche Melancholie dieser Stimme. In diesem Moment war ich den Bay City Rollers für immer verloren gegangen.
Auch als ich meinen Vater das erste Mal in dem Abrisshaus besuchte, wo er eingezogen war, nachdem er uns verlassen hatte, lief Leonard Cohen. Es gab kaum Möbel und durch die großen leeren Räume hallten Suszanne und Marianne wie der Soundtrack zu einem Film, dessen Handlung ich nicht verstand. Dennoch sprach Leonard zu mir. Er sagte der Neunjährigen, deren Welt gerade auseinander gebrochen war: Du bist mit deinem Schmerz und dem Gefühl der Verlorenheit nicht allein. Und ich verstand. Wenn es möglich ist, dass aus Not und Verzweiflung, aus gescheiterten Träumen, Versagen und Betrug etwas so Schönes entstehen kann, dann ist all das Schlimme offenbar für irgendetwas gut. Ich verstand, wofür Musik und Gedichte, Romane und Filme überhaupt da sind, dass sie uns am Leben halten und mit dem Leben versöhnen können. Und dass selbst dem Traurigsten noch die Kraft der Schönheit innewohnt.
In diesem Sinne hat Glück vielleicht gar nicht so viel mit Fröhlichkeit zu tun. Sondern eher mit dem, was Alexis Sorbas, der große Grieche „the full catastrophe“ nennt.
Der Soundtrack zu diesem Text: Leonard Cohen „Nancy“, Lucinda Williams „Rescue“, Jaques Brel „ Ne me quitte pas“, Bob Dylan „Big girl now“, Roy Orbison „Running Scared“, Maria Callas (Giuseppe Verdi) „Addio del Passato“, Patti Smith „Farewell Reel“, Bonnie Prince Billy „I see a darkness“, Nick Cave „Far from me“, Lisa Loeb „Jake“, Van Morrison „Village Idiot“, Tindersticks „Despreate Man“, Richmond Fontaine „Exit 149b“, Chris Isaak „Forever Blue“