Holotropes Atmen

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Therapeut und Klientin bei Atemübung

Ich stehe vor der Tür und mir ist mulmig. Ich habe einiges gehört über das Holotrope Atmen, das mich neugierig gemacht hat. Bisher unzugängliche Sphären des Bewusstseins sollen sich auftun, Trancezustände erreicht werden, aber, so die Warnungen, es kann auch verdammt heftig werden, außer Kontrolle geraten. Schließlich gilt der Erfinder der Technik, der Psychotherapeut Stanislav Grof, weltweit als Pionier auf dem Gebiet der Erforschung außergewöhnlicher Bewusstseinszustände, die unter anderem durch psychedelische Drogen wie LSD hervorgerufen werden. Als LSD in den USA verboten wurde, suchte er nach Alternativen und erfand, abgeleitet aus uralten yogischen Atemübungen, die Technik des Holotropen Atmens. „Keine Sorge“, beruhigt mich Peter Kiefer, der von Grof ausgebildet wurde, die Technik seit 1990 praktiziert und in einem ausführlichen Vorgespräch klärt, ob es körperliche oder psychische Gründe gibt, die gegen eine Behandlung sprechen. „Es passiert nichts, wofür die Psyche nicht bereit ist.“ Es geht vielmehr darum, Freiraum zu schaffen, in dem die Psyche ihr Regenerationspotenzial entfalten kann. Das hilft, Blockaden und Anspannungen zu lösen, tut Körper, Geist und Seele gut.
Na dann los. Ich lege mich auf die Matratze auf dem Boden des Behandlungsraums in einer Friedenauer Altbauwohnung und verschließe die Augen mit einer Schlafmaske. Kiefer fragt nach, ob es in Ordnung ist, wenn er gelegentlich seine Hand auf meine Schulter oder die Stirn legt. Ich atme eine Weile tief und schnell. Bereits nach wenigen Minuten spüre ich ein starkes Kribbeln in Händen und Füßen. Das kommt daher, dass sich durch die absichtliche Hyperventilation das Kohlendioxid-Kalzium-Gleichgewicht im Blut verschiebt. Es fühlt sich heftig an, unangenehm, ich kriege Angst. Die Augenbinde drückt, obwohl ich so tief atme habe ich das Gefühl, keine Luft zu kriegen. Ich bin kurz davor, den Versuch abzubrechen, da fragt Kiefer, ob er meine Hände halten soll. Und ich, die ich normalerweise in der Yogastunde den Raum verlasse, wenn Partnerübungen angesagt werden, greife zu, als wäre ich am Ertrinken. Beim Holotropen Atmen, erklärt Kiefer später, handelt die Psyche äußerst sorgsam und intelligent. Schritt für Schritt macht sie genau jenes Thema bewusst, das den Selbstheilungsprozess am effizientesten befördere. Unterschiedliche Themen, die das System verarbeiten möchte, treten ins Bewusstsein. Oft ist das Angst. „Angst ist wie ein Bandwurm“, sagt Kiefer, „ein unglaublicher Energiefresser.“ Sich den eigenen Ängsten zu stellen, um schließlich die ursächlichen Zusammenhänge zu erkennen, kann Kraft und Lebensfreude stärken. „Man packt den Tiger zurück in den Tank“, so Kiefer. Afrikanische Trommeln treiben mich weiter und es wird angenehmer, ich kann mich langsam fallen lassen. Bilder kommen und gehen, ich sehe den Ort am Gangesufer, den ich liebe, meine Großmutter, eine Reihe von Frauen, die mir ihre Hände reichen, eine helles Licht – es ist wie träumen im Wachzustand. Namenlose Gefühle tauchen auf – ein heftiger Schmerz im Bauch, wie eine Erinnerung an Wehen – und verschwinden wieder. Anfangs versuche ich noch, wie ich es gewohnt bin, meine Erfahrung in Worte zu fassen, dann lasse ich es sein. Es passiert einfach zu viel, es ist zu intensiv. Und irgendwann stelle ich fest, dass ich meinen Atem gar nicht mehr beeinflusse, auch Kiefer gibt keine Anweisungen. Das, was hier abläuft, was immer es ist, steuert sich selbst. Ich habe die Kontrolle abgegeben und staune darüber, wie gut sich das anfühlt. Der Atem fließt, mal schnell, dann wieder langsam, flach, dann in tiefen Zügen und auf einmal setzt er aus. Ich liege einfach da und bin sicher, dass ich nie wieder irgend etwas tun muss, noch nicht einmal atmen. Und ein so intensives Gefühl des Friedens und Wohlbefindens breitet sich in mir aus, dass ich gar nicht mehr aufstehen möchte. Als ich mich dann irgendwann doch leicht benommen aufsetze, erfahre ich, dass 90 Minuten vergangen sind. Ist das jetzt viel oder wenig? Diese Zahl hat irgendwie gerade keine Bedeutung. Bettina Homann

Peter Kiefer bietet Holotropes Atmen in Einzelsitzungen oder in Gruppen an, außerdem Wochenend-Workshops und Atemferien. www.holotropics.de

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