Bin ich etwa Alkoholikerin? Das AF-Tagebuch, Teil 3

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„Ich habe kein Problem mit Alkohol – solange welcher da ist“, soll Keith Richards gesagt haben. So geht es möglicherweise vielen von uns. Alkohol zu trinken ist in unserer Gesellschaft normal. Nur drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland trinken grundsätzlich keinen. Normal ist es, mit etwa 14 Jahren den ersten Drink zu nehmen und weiter zu machen, obwohl es meist nicht schmeckt und man anschließend vielleicht sogar kotzen muss. Zum Feiern und Ausgehen. Am Wochenende. Und irgendwann ist dann vielleicht das tägliche Feierabendbier oder das Gläschen Wein zum Essen normal. Oder auch zwei. Und auch gelegentlich betrunken sein, ist normal. Es kann also dauern, bis man auf die Idee kommt, dass man ein Problem hat. Oft fällt es erst dann auf, wenn man beschließt, mal eine Weile weniger oder gar nicht zu trinken. Und feststellt, dass das verdammt schwerfällt, dass man es vielleicht von Tag zu Tag verschiebt, weil gerade heute kein guter Tag ist, mit dem Aufhören anzufangen. Wer jetzt anfängt zu googeln, stellt fest, dass es keine klare Definition für Alkoholismus gibt. Zwar gilt er als Krankheit, es gibt aber keinen Bluttest oder irgendeine andere Untersuchungsmethode, mit der sich diese Krankheit eindeutig feststellen ließe. Um festzustellen, ob man betroffen ist, gibt es eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel: „Trinken Sie, weil es Ihnen schmeckt oder wegen der Wirkung?“ Da die Wirkung – kurzfristig erhöhte Ausschüttung von Glückshormonen, so dass man sich wohl und entspannt fühlt, bei allen Menschen gleich ist, scheint es mir unwahrscheinlich, dass irgendwer hier wirklich eindeutig unterscheiden kann. „Haben Sie ein starkes Verlangen, zu trinken?“ Also gelegentlich so richtig Lust auf einen Drink? Trinken Sie schon morgens? Auch das soll vorkommen, oder? Alkohol ist ein Nervengift, eine Droge mit hohem Suchtpotenzial. Jeder, der auch nur gelegentlich trinkt, befindet sich also irgendwo auf der kontinuierlichen Skala zwischen Nicht-Alkoholiker und Schwerstalkoholiker. Das Bundesgesundheitsamt erklärt, 12 Gramm reinen Alkohols pro Tag – das entspricht 0,12 Liter Wein oder 0,3 Liter Bier – für Frauen als grenzwertig. (Für Männer das Doppelte). Grenzwertig ist wohl jeder Tropfen Alkohol, aber dem Volk seine Lieblingsdroge wegnehmen zu wollen, ist wohl politisch schlicht unrealistisch. Die anonymen Alkoholiker definieren Alkoholiker als Menschen, die die Kontrolle verloren haben und sich ein Leben ohne Alkohol nicht mehr vorstellen können. Sie gehen davon aus, dass Alkoholismus eine angeborene Krankheit ist, die genetisch bedingt ist. Nachweisbar ist das allerdings nicht. Zwar gibt es Familien, in denen Alkoholismus gehäuft vorkommt, was aber auch einfach bedeuten kann, das Kinder Trinken als Problemlösungsstrategie vorgelebt bekommen. Für die meisten Alltagstrinker ist diese These jedoch bequem: Wenn einige wenige Menschen schlicht krank sind, nicht mit Alkohol umgehen können und daher gar keinen trinken dürfen, können es sich alle anderen bequem machen da sie ja nicht krank sind und ihr Alkoholkonsum kein Problem darstellt. Das führt zu der merkwürdigen Paradoxie, dass es in unserer Gesellschaft üblich ist, denjenigen, die nicht trinken, ein Problem mit Alkohol zu unterstellen.

AF-Tagebuch, Teil 3: “Es ist etwas Magisches entstanden seit ich mich nicht mehr betäube” , Interview mit Mirian Lamberth
https://www.happster.de/interview_mirian_lamberth/

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