Tag 1 (der erste)
Der erste August ist ein Samstag. Dummerweise habe ich nicht bedacht, dass ich das Wochenende mit meinem Mann auf dem Boot verbringen würde. Das machen wir gelegentlich. Wir schippern gemütlich über Brandenburger Gewässer, legen abends in einer einsamen Bucht an und – trinken. Ausgerechnet jetzt damit aufzuhören ist ja irgendwie blöd. Ich beschließe Tag 1 auf Montag zu verlegen.
Tag 1 (der zweite)
Montag fahre ich nach Hause, weil ich arbeiten muss, während mein Mann die Bootsreise fortsetzt. Im Kühlschrank steht eine angebrochene Flasche von sehr gutem Weißwein. Die wegzuschütten wäre schade, finde ich und verschiebe Tag eins auf Dienstag.
Tag 1 (der dritte)
Heute fange ich wirklich an – beziehungsweise höre ich wirklich auf. Bei den täglichen Nachrichten von OYNB (http://www.oneyearnobeer.com) muss ich jetzt immer drei Tage abziehen. Ich habe mich mit San Bitter und alkoholfreiem Sekt eingedeckt, um die für mich schwierigste Zeit – die frühabendliche Cocktailstunde – zu überbrücken und das Ritual des „besonderen“ Getränks zum Tagesausklang nicht aufgeben zu müssen.
Tag 5
Freunde kommen zum Grillen und alle trinken. Es macht mir nichts aus – im Gegenteil: ich fühle mich als hätte ich ein süßes Geheimnis.
Tag 10
Das Nichttrinken fällt mir nicht schwer. Ich kann abends komplexe Bücher lesen und bin morgens frischer. Außerdem fühle ich mich irgendwie ausgeglichener, auf eine unaufgeregte Art zufrieden und empfänglich für angenehme alltägliche Kleinigkeiten.
Tag 15 – Looking good!
In der OYNB-Facebookgruppe wird rege gechattet und für jeden Post gibt es Likes ermutigende Kommentare. Menschen posten Vorher/Nachher-Bilder. Ich denke, das soll beweisen, dass sie nach einer Weile ohne Alkohol besser, jünger, fitter aussehen. Einer hat auf dem Vorher-Bild diverse Prellungen und Schnitte im Gesicht, weil es besoffen einen Unfall hatte, ein paar Monate später sieht er tatsächlich gesünder aus. Bei den meisten anderen unterscheiden sich die Fotos eher durch vollkommen unterschiedliche Lichtverhältnisse und Gesichtsausdrücke. Scheint also eher eine Art Ritual als eine aussagekräftige Erhebung zu sein. Ich kann bisher jedenfalls nicht feststellen, dass ich besser aussehe.
Tag 20 – Was trinkst Du?
Es fühlt sich gut an, keinen Alkohol zu trinken. Es gehen aber definitiv viele Getränkeoptionen verloren. Vor allem in den meisten Restaurants bleibt einem kaum etwas anderes übrig als Wasser und alkoholfreies Bier. Für Zuhause aber gibt es zunehmend mehr Optionen. Aus Monin (einer sprudelnden Campari-Alternative) und alkoholfreiem Sekt baue ich meinen Lieblingscocktail nach, ein guter Sundowner. Im Oktober öffnet Deutschlands erster alkoholfreier Späti im Halleschen Haus, tolle Initiative, es gibt viel zu entdecken. Der nullprozentige Gin-Ersatz von Seedlip ist allerdings nicht so meins, trotz des wunderschönen Etiketts. Schmeckt irgendwie nach Hustensaft. Mein Favorit ist der Sekt von Kolonne Null, der mir auf lange Sicht meinen abendlichen Weißwein ersetzt. Damit fällt allerdings einer der vielgepriesenen Vorteile des AF-Lifestyles für mich weg: Die Geldersparnis. Die Alternative ist nämlich teurer als das Original.
Teil 3: Bin ich etwa Alkoholikerin?
https://www.happster.de/bin-ich-etwa-alkoholikerin-das-af-tagebuch-teil-3/