„Es ist etwas Magisches entstanden, seit ich mich nicht mehr betäube“: Das AF-Tagebuch, Teil 4

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Ein warmer Sommertag in Berlin-Mitte. Auf der Terrasse des Café Fleury wimmelt es vor Wespen. Da Miri allergisch gegen Wespenstiche ist, ziehen wir uns in die hinterste Ecke des Cafés zurück.

Liebe Miri, erzähl doch bitte mal, wie es zu deiner Entscheidung kam, mit dem Alkoholtrinken aufzuhören.
Das war vor zweieinhalb Jahren. Ich hatte schon eine Weile gemerkt, dass mit meinem Alkoholkonsum etwas nicht stimmt. Ich habe mir immer wieder vorgenommen: ‚Diese Woche trinke ich nicht‘ . Dann habe ich die Brustkrebsdiagnose bekommen und an dem Tag habe ich gewusst: ‚Du musst sofort aufhören‘.

Weil es einen Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs gibt?
Ja, einen großen Zusammenhang. Nicht nur den gesundheitlich-physischen, sondern auch den psychischen. Ich habe mich dann viel mit dem Thema Gesundheit und Alkohol beschäftigt, viele Bücher gelesen, mit Ärzten geredet. Und ich bin echt sauer, dass auf Wein und Bier nicht das gleiche steht wie auf Zigaretten steht: Alkohol ist krebserregend!

Es hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Trinken „in Maßen“ ok ist, das tägliche Glas Rotwein sogar gesund. Man kann aus diesem System kaum herausdenken.
Ja, es dreht sich auch alles immer ums Trinken. Die Alkohol-Lobby ist verdammt stark. Das darf man nicht vergessen, was da an Geld dahintersteckt!

Ist dir das Aufhören schwergefallen?
Das erste Jahr war richtig anstrengend, ich habe mich komplett neu kalibriert.

Inwiefern?
Ich bin nicht mehr so zugänglich, nicht mehr so offen und ich höre nicht mehr so gut zu wie mit Alkohol. Und ich bin auch nicht mehr so freundlich.

Das klingt ja erstmal schade.
Genau. Aber für mich war es ein wertvoller Prozess.

Weil du vorher über deine Grenzen gegangen bist?
Voll. Wenn mich jetzt jemand volllabert, habe ich dafür einfach keine Zeit. Früher habe ich mir halt eine halbe Flasche Rotwein reingeschüttet und konnte gut zuhören. Alle waren dann der Meinung: ‚Mensch, die Miri, mit der zu reden, ist so toll‘ und haben richtig abgeladen. Während ich mich am nächsten Tag gefragt habe, warum ich mich nicht gut fühle.

Es gibt ja auch dieses Klischee, dass Frauen sich für ihr anstrengendes Leben mit „Mommy Juice“ belohnen müssen.
Ja, wir haben ja diese Patchwork-Familie mit vielen Kindern. Da war immer tierisch viel zu tun, Arbeit, Schule, Hausaufgaben, Kochen – da habe ich mir auch immer gerne einen hinter die Binde gekippt. Das hat mich sanftmütig gemacht – alles durfte sein, nichts hat gestört.

Aber vielleicht hätte es dich stören müssen?
Ja! Das denke ich jetzt im Nachhinein. Das ist für mich eine Riesenoffenbarung. Es ist doch ok, wenn etwas zu viel ist, wenn etwas stört oder Angst macht.
Ich denke jetzt eher darüber nach, wie kann uns als Frauen verdammt nochmal mal geholfen werden, dass wir nicht so viel saufen müssen, um das alles auszuhalten!
Ich habe so viel von mir erwartet. Ohne Alkohol hätte ich wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch gehabt – und das wäre wahrscheinlich angemessen gewesen!

Und jetzt?
Jetzt mache ich vieles nicht mehr mit. Es gibt entsprechend auch viele Leute, die mich nicht mehr einladen. Ich habe für Abendtermine, die sich dann zu fünfstündigen Gelagen entwickeln, auch einfach kein Sitzfleisch mehr. Ich treffe mich jetzt eher zum Frühstück oder zum Spazierengehen.

Wie hast du früher getrunken, was war für dich normal?
Es waren fast jeden Abend zumindest zwei Gläser Rotwein. Da war schon eine Abhängigkeit war, auch wenn meine Familie und Freunde gesagt haben: ‚Quatsch‘.

Das wird ja in unserer Kultur nicht als viel empfunden.
In Situationen, wo ich nervös oder aufgeregt hatte, wurde es mehr. Zum Beispiel in Meetings, in denen ich mich nicht so wohl gefühlt habe. Da habe ich mich betäubt, damit ich irgendwie durchkomme.

Als ich darüber nachgedacht habe, mit wem ich mich zu dem Thema unterhalten kann, bist du die einzige gewesen, die mir eingefallen ist – sonst kenne ich tatsächlich niemanden, der grundsätzlich nicht trinkt.
Interessant, nicht?

Ja, ich merke auch, dass viele bei dem Thema Alkoholverzicht sogar irgendwie nervös und ungehalten werden.
Du wirst zum Spiegel, in den keiner reinschauen will. Ich poste ja regelmäßig und Posts zum Thema ‚Nicht-Trinken‘ bekommen definitiv die wenigsten Likes.

Irgendwie hat Trinken ja auch etwas Tolles, ich verbinde viele gute Dinge damit. Auch Rausch kann etwas ja etwas sehr Schönes sein – ein alternativer Bewusstseinszustand, ein heraustreten aus dem Alltag, eine andere Sichtweise.
Aber wir sind ja nicht nur nüchtern ohne Alkohol! Ich habe Abende da bin ich bis vier Uhr unterwegs und komme nach Hause und habe das Gefühl: ‚Das war eine berauschende Nacht‘ – ohne dass ich etwas getrunken habe.

Trinkt dein Partner?
Ja, aber sehr wenig. Er ist sehr supportive. Mein Ding war ja Rotwein – da hat er gerne mitgetrunken, aber seit ich aufgehört habe, trinkt er höchstens gelegentlich ein Bier. Er findet es gut, dass ich aufgehört habe.

Das ist etwas, womit ich noch hadere. Ich habe schon mal eine Weile nicht getrunken, aber dann doch wieder angefangen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, gar nicht mehr dabei zu sein. Aber ich habe leider festgestellt, dass ich es nicht hinkriege, nur gelegentlich mal ein Glas zu trinken.
Ja, bei mir geht das auch nicht. Ich bin eher eine All-or-Nothing-Personality, das werde ich mir auch nicht mehr abtrainieren.

Ich denke auch darüber nach, dass ich als Trinkende Teil einer Jahrhunderte alten Kultur bin, zu der ich irgendwie weiterhin gehören möchte.
Ja, ich weiß was du meinst. Guten Wein zu trinken und sich damit zu beschäftigen, ist ja eine schöne Sache. Aber vielen geht es halt dann doch um den Alkohol und weniger um die Rebsorte. Ich habe auch immer gute Weine getrunken. Aber wenn nur noch der Späti offen hatte, habe ich nicht gesagt: ‚Dann trinke ich nicht‘, sondern genommen, was da war.

Wenn man so geprägt ist wie ich, existiert auch diese Vorstellung: Trinken ist cool. All die Idole meiner Jugend haben nicht nur Alkohol getrunken, sondern waren auch noch drogensüchtig.
Und sind mit 27 gestorben …

Dennoch ertappe ich mich immer noch dabei zu denken: „Leute, die nicht trinken, sind langweilig.“
Ich bin sowas von überhaupt nicht langweilig! Ich kann dir sagen, dass ich mit Alkohol definitiv langweiliger war. Weil ich dann zu allem Ja und Amen gesagt habe. Wenn Du mich klar irgendwo hinschickst, dann diskutiere ich ganz anders und bin voller Energie.

Was trinkst du jetzt?
Sehr viel Tee – auch Tee ist ja eine reiche Kultur. Und ich mag inzwischen alkoholfreies Bier gerne.

Manche sagen ja, wer wirklich aufhören will, sollte keinen ‚Ersatz‘ trinken. Aber ich tue das auch. Weil ich einfach das Ritual des Trinkens mag und das nicht mitaufgeben möchte.
Ich finde das auch gut. Ich esse auch Tofu-Würstchen. Ich bin in Kreuzberg aufgewachsen, da gab es Currywurst an jeder Ecke, das fühlt sich für mich einfach nach Zuhause an – auch wenn ich mich inzwischen vegan ernähre.

Hast du den Eindruck, dass sich eine alkoholfreie Kultur entwickelt oder bist du damit alleine?(Denkst lange nach) Ich glaube, ich bin ein Außenseiter.

Also nicht Vorbild für andere?
Ich bin nicht diejenige, die rumgeht und Leuten sagt, was sie zu tun sollen – es sei denn, sie bezahlen mich dafür.  Aber für einige wenige ist es dann wohl doch motivierend – meine Schwester zum Beispiel hat auch aufgehört zu trinken.

Ich empfinde immer große Scham, wenn ich daran denke, dass ich auch in meinen Schwangerschaften nicht komplett auf Alkohol verzichtet habe. Hast Du eine besonders unangenehme Erinnerung an dein alkoholisiertes Leben?
Ich habe eine ganz furchtbare Erinnerung aus der Zeit, als ich in New York gelebt habe (Miri war damals Creative Director bei dem Modelabel Tommy Hilfiger). Wir hatten ein Haus auf Long Island, die Kinder waren klein. Wir sind Freitagnachmittag rausgefahren, ich habe den ganzen Tag gearbeitet, alles war stressig, die Kinder haben geweint … Da habe ich mir heimlich einen Kinderbecher mit Alkohol gefüllt und im Auto weggenuckelt  – als mir das später wieder eingefallen ist, konnte ich es kaum fassen.

Empfindest du das Nichttrinken als Verzicht?
Jetzt nicht mehr. Aber erst seit Neuestem. Hättest du mich vor einem halben Jahr gefragt, wäre das noch anders gewesen.  Ich staune jeden Tag darüber, wie sich mein Leben – einfach nur dadurch dass ich keinen Alkohol trinke – komplett neu formiert. Es ist etwas Magisches entstanden seit ich mich nicht mehr betäube.

Zusammen mit Rebecca Randack macht Mirian regelmäßig den Poscast Heiliger Bimbam: Deep stuff statt Eso-Blabla:
https://www.fuckluckygohappy.de/vom-loslassen-und-dem-finden-des-gluecks-mirian-lamberth-im-interview/

Werden andere Süchte stärker, wenn man nicht mehr trinkt?
Das AF-Tagebuch, Teil 5
https://www.happster.de/symptomverschiebung-oder-die-summe-aller-laster-das-af-tagebuch-teil-4/

 

 

 

 

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