„Ich möchte, dass du sichtbar bist, nicht deine Kleidung“

Schreibe einen Kommentar

Als Jugendliche konnte Karin Jordan sich nicht entscheiden, ob sie Psychologin oder Grafikerin werden wollte. In gewisser Weise ist sie heute beides. Kleiderkauf in ihrem Atelier läuft ein wenig wie eine Coaching-Session. Dabei geht es weniger um Looks als um Gefühle. Starke Gefühle in Bezug auf Kleidung hatte sie selbst schon als Kleinkind: Da fing sie manchmal angesichts eines zu bunten Pullovers an zu weinen oder bekniete ihre Eltern so lange, bis sie die Winterjacke nicht mehr tragen musste, auf deren Kragen ihre Haare ein für sie unerträgliches Geräusch erzeugten.
Nach einer Ausbildung zur Kostümschneiderin in ihrer Heimatstadt Leipzig studierte Karin Design an den Kunsthochschulen Schneeberg und Weißensee, arbeitete als freie Künstlerin und gründete schließlich 1994 ihr eigenes Label.

Liebe Karin, als Moderedakteurin habe ich mit vielen Designern gesprochen, die meisten sprechen von inspirierenden Bildern, Formen und Looks, Du sprichst von Fühl-Landschaften. Mich hat es immer gelangweilt, mich mit den äußeren Codes der Mode zu beschäftigen, die sind schon durch so viele Filter gegangen. Ich setze mich nicht hin und zeichne etwas. Ich möchte näher an die Menschen heran. Ich beobachte Frauen in ihrer Körpersprache, in ihren Interaktionen und frage mich: Was braucht es gerade? Ich entwerfe tatsächlich oft mit geschlossenen Augen, indem ich in Körper hinein fühle, Räume erspüre.

Du verstehst Kleidung als Lebensraum?
Ja, ich habe mich viel mit Architektur beschäftigt, mit den Räumen, in denen wir wohnen. Ich denke, dass Frauen sich selbst in ihrer Wohnung am nächsten kommen, weil sie sich dort frei fühlen, sich individuell auszudrücken. Deshalb habe ich für mein Label den Claim „In Kleidung wohnen“ formuliert.

Was bedeutet das für Dich?
Dass es mir nicht um äußeren, sondern um inneren Status geht, darum, Frauen zu unterstützen, innere Anteile auszudrücken.

Tun wir das denn nicht?
Oft nicht. Wir tragen so viele innere Korsetts mit uns herum! Glaubenssätze und Vorstellungen, die uns einengen und verbiegen. Wir wählen dann Mode, um einem bestimmten Bild zu entsprechen.

Zum Beispiel?
Ich sehe immer wieder starke kluge Frauen, die zu enge Röcke tragen, kombiniert mit zu hohen Schuhen, so dass sie nur Trippelschritte machen und nur eingeschränkt atmen können, wodurch ihre Stimmen piepsig werden. Das zu sehen tut mir richtig weh!
Und diese Frauen wundern sich dann, dass sie nicht gehört werden.

Du meinst, es liegt an ihrer Kleidung, dass sie nicht gehört werden?
Ja, zumindest zum Teil. Sie senden widersprüchliche Botschaften aus.

Unbewusst?
Ja, ich nehme große Abweichungen wahr zwischen dem, was Frauen intellektuell erfassen und dem, was sie über Kleidung ausdrücken. Das ist ein nicht vorhandenes Wissen. Wir sind gewohnt, Kleidung von außen zu erfassen. Das ist auch historisch bedingt. Es gab Arbeitskleidung, die musste vor allem funktionieren und es gab Kleidung, die etwas darstellte, die kam vom Hof.

Heißt das, dass High Heels und kurze Röcke immer falsch sind?
Nein, nicht wenn es wirklich für dich stimmt. Wenn du es wirklich fühlst und dir des Ausdrucks bewusst bist. Ich finde, man sollte wissen, was man tut. Die Möglichkeiten sind enorm vielfältig und komplex, die dürfen alle nebeneinander existieren. Daher mag ich auch nicht in Kollektionen denken. Meine Kollektion entwickelt sich seit 1994 immer weiter.

Wie genau?
Ich habe ein Baukastensystem aus schlichten Hosen, Blazern, Mäntel, Tops und Kleidern entwickelt, das langsam modifiziert wird. Aber es gibt da nichts, was irgendwann „out“ ist. Wenn du ein Lieblingsteil hast, kannst du das immer wieder bekommen. Ich arbeite viel mit hochwertigen Jerseystoffen, weil die sich Körper und Bewegungen gut anpassen.

Fühlt man sich in weichen elastischen Materialien denn besser?
Das kann man nicht grundsätzlich sagen, manchmal braucht es auch Festigkeit und klare Struktur. Struktur ist extrem wichtig. Wenn unsere Kleidung uns den richtigen Halt gibt, erlauben wir uns leichter, innerlich weich zu sein.

Wie läuft der Besuch in Deinem Atelier ab?
Im Idealfall ist es wie eine Art Choreographie. Du stehst vor mir, erzählst mir, was du möchtest und das erzeugt etwas in mir, ich gehe mir dir in Resonanz und spüre, was es braucht. Gemeinsam erkunden wir, was stimmig ist. Das kann schon mal mehrere Stunden dauern. Ich schlage oft intuitiv bestimmte Teile vor. Manchmal geht eine Kundin dann mit etwas ganz anderem nach Hause als sie gedacht hätte.

Kannst Du dafür ein Beispiel geben?
Ich habe neulich einer Kundin eine Jacke vorgeschlagen, bei der sie sich unsicher war. Nach ein paar Wochen hat sie mir begeistert erzählt, wie präsent und machtvoll sie sich in der Jacke gefühlt hat. Manchmal fühlen sich Kleidungsstücke zunächst unangenehm an, weil wir noch nicht bereit sind, bestimmte Persönlichkeitsanteile anzunehmen, die sich entwickeln möchten.

Das klingt nach einem sehr anspruchsvollen Prozess, funktioniert das denn immer?
Es ist natürlich unterschiedlich, inwieweit Kundinnen sich darauf einlassen können und wollen. Aber viele kommen ja schon sehr lange zu mir und wünschen sich genau das. Ich habe meinen Laden in den Hackeschen Höfen auch deshalb aufgegeben, weil ich auf konventionelle Beratung keine Lust mehr hatte, auf Fragen wie: „Trägt man das jetzt?“

Was sind, Deiner Meinung nach, die größten Missverständnisse in Bezug auf Kleidung?
Dass wir immer noch in Bildern denken, anstatt zu fühlen, ob etwas angemessen ist. Merkwürdige Regeln wie „Blau und Braun darf man nicht kombinieren“. Das glauben komischerweise meist Juristinnen. Und dass solche kategorischen Einschränkungen dann auch auf andere übertragen werden.

Wenn es danach geht, dürfen vor allem ältere Frauen immer weniger.
Ja, das ist sehr traurig. Etwa die Vorstellung, dass faltige Arme nicht sichtbar sein dürfen. Ich freue mich über jede Frau, die mit über 60 ein ärmelloses Kleid wählt.

Woher, glaubst du, kommt diese Strenge gegenüber älteren Frauen?
Ich denke, wir möchten Alterungsprozesse nicht sehen, weil sie uns mit der eigenen Sterblichkeit konfrontieren.

Die meisten von uns sind ja selbst ihre strengsten Kritikerinnen. Ich finde es bei anderen oft toll, wenn sie zu ihrem Älterwerden stehen, kann es bei mir selbst aber nicht so gut.
Ich glaube, es ist ein Übungsprozess. Wir müssen uns dem Schmerz, der Scham und der Trauer stellen, die damit verbunden sind. Das ist schwer. Aber ich denke, wir haben da eine Verantwortung unserem weiblichen Selbstwert gegenüber.

Du selbst kleidest dich eher schlicht, meist dunkle Hose, dunkles Top, Pferdeschwanz, kaum Make-up.
Ja. Ich habe Freundinnen, die ich enttäusche, weil ich so gar nicht ihrem Bild von der Modedesignerin entspreche. Früher habe ich das getan, mit gefärbten Haaren, langen Kleidern und jeder Menge Schmuck.

Magst Du es nicht, Erwartungen zu entsprechen?
Mein Äußeres muss vor allem für mich stimmig sein. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass ich mich abschminke bevor ich mich mit jemandem treffe, um meine Verletzlichkeit zu spüren und mich besser einlassen zu können und mich dafür schminke, bevor ich ins Bett gehe. Zurzeit geht es mir vor allem darum, zu lernen, mich mehr und mehr zu fühlen.

Hast Du den Eindruck, dass wir Individualität und Freiheit gewinnen?
Ja, ich glaube schon. Mir sagen immer mehr Frauen: „Ich bin nicht mehr bereit, meinen Bauch einzuziehen oder mich auf unbequemen Schuhen zu bewegen, mir muss es gut gehen.“ Das zu hören, macht mich sehr glücklich.

Du plädierst also für mehr Mut?
Ich plädiere für maximale Ehrlichkeit und Freiheit. Dafür, dass wir uns bei jedem Kleidungsstück die Frage stellen: „Stärkt mich das?“. Das ist allerdings nicht zu verwechseln mit plakativem Zur-Schau-stellen, etwa mit knallroten Da-geht-noch-was-Brillen.

Wie erkenne ich den Unterschied?
Es geht darum, dass Du sichtbarer wirst, nicht deine Kleidung. Das größte Kompliment für mich ist, wenn mir eine Frau erzählt, ihr Mann hätte gar nicht bemerkt, dass sie sich neu eingekleidet hat. Die Kleidung sollte sich mit deiner Essenz verbinden wie ein gutes Parfum.

 Was mich glücklich macht?
Ich mag das Wort ‘glücklich’ gar nicht so. Es fühlt sich für mich so zufällig an. Als würde ich Glück haben, wenn ich Glück fühle. Es ist eher ein Zustand von tiefem erfüllt sein, wenn ich das, was ich gerade tue oder auch nicht tue, gewählt habe, es sich rundherum stimmig anfühlt und ich einen Augenblick der Vollendung wahrnehme. Das kann dann sein, wenn ich gerade eine Kundin begleite und bekleide und erlebe, wie tiefenentspannt und schön sie sich fühlt. Das kann aber auch ein tiefer erster morgendlicher Atemzug am Fenster sein, in dem ich mich dankbar mit dem Leben verbunden fühle.

http://www.karinjordan.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 + 7 =